23.08.2012
Dienstleistungs-Jobs
Die Rückkehr der ProletarierGebäudereiniger, Altenpfleger, Paketfahrer - Millionen Menschen können von ihrer Arbeit kaum leben. Anerkennung finden Dienstleister ebenfalls wenig. Soziologen sprechen von einem neuen Proletariat, das an an die Zeit vor hundert Jahren erinnert.
Andreas Döhnert, 55, schuftet 40 Stunden jede Woche, er leitet ein Team von zehn Gebäudereinigern - und kann trotzdem nicht von seiner Arbeit leben. "Ich bekomme 1050 Euro netto", sagt er. "Bei den hohen Mieten ist das weniger als das Existenzminimum." Zusätzlich zu seinem Job als Führungskraft bei der Berliner "Schwarzweiss Gebäudedienste GmbH" arbeitet er deshalb in einem Pflegeheim.
Alternativ hätte Döhnert auch Sozialleistungen vom Staat beantragen können. Dann wäre er einer von bundesweit rund 1,3 Millionen "Aufstockern", die laut Arbeitsagentur im Februar 2012 trotz Teil- oder Vollzeitbeschäftigung Arbeitslosengeld II bezogen haben.
"Sorgen, Säubern, Service", so heißt die Formel für den Dienstleistungssektor, eine Branche, in die nach dem Strukturwandel in den Industriestaaten große Hoffnung gesetzt wurde - und in der nun Ernüchterung herrscht. Denn die Gesellschaft honoriert die Arbeit von typischen Dienstleistern wie Altenpflegern, Paketfahrern oder Gebäudereinigern kaum.
Arm trotz Arbeit
Drei Jahre lang haben Friederike Bahl und Philipp Staab vom Hamburger Institut für Sozialforschung unter Leitung des Soziologen Heinz Bude den deutschen Dienstleistungsbereich untersucht. In ihrer Studie, die in diesem Jahr veröffentlicht werden soll, sind sie zu einem bemerkenswerten Ergebnis gekommen: Deutschland hat wieder ein Proletariat. Kennzeichen: geringe Entlohnung, wenig bis keine soziale Absicherung. Außerdem tendiert die gesellschaftliche Anerkennung gegen null, weshalb die Betroffenen ihre Arbeit oft als sinnentleert empfinden.
Damit sei eine Sozialfigur wiedergekehrt, die man längst für überwunden geglaubt hatte, sagt Bahl. Den ursprünglichen Proletarier kennt man noch aus Geschichtsfilmen über die Zeit der industriellen Revolution um 1900. Die Zahl der neuen Dienstleistungsproletarier schätzen die Soziologen Bahl und Staab in Deutschland auf mittlerweile etwa zwölf Prozent der Arbeitnehmerschaft, also mehrere Millionen Menschen.
Andreas Döhnerts Schicksal stehe beispielhaft für das Dienstleistungsproletariat in Deutschland, sagen die Soziologen Staab und Bahl. Seit 16 Jahren arbeitet Döhnert in der Gebäudereinigung und zieht wie ein Wanderarbeiter durch die Hauptstadt, von einem befristeten Vertrag zum nächsten. Bei seinem aktuellen Arbeitgeber ist er nach zwei Jahren immer noch auf Probe beschäftigt. Vier Mal in Folge habe er einen auf sechs Monate befristeten Vertrag erhalten, sagt Döhnert. Das mache eine längerfristige Lebensplanung unmöglich.
Arbeitgeber: Wir zahlen doch den MindestlohnBei der Gewerkschaft Verdi ist man wenig überrascht von den Erkenntnissen der Soziologen. "Wir weisen seit Jahren auf die Missstände im Dienstleistungssektor hin", sagt Verdi-Sprecher Jan Jurczyk. Die Beschäftigten litten unter den "zunehmend prekären Arbeitsbedingungen".
Der Bundesinnungsverband des Gebäudereiniger-Handwerks weist die "pauschalen Vorurteile" zurück. Eine Sprecherin sagt, in der Branche gelte ein Mindestlohn von 8,82 Euro (West) und 7,33 Euro (Ost) für ungelernte Arbeitskräfte. "Das sind keine Löhne, bei denen wir uns verstecken müssten." Verstöße würden sofort beim Zoll angezeigt.
Nun hofft auch Gebäudereiniger Andreas Döhnert auf eine Gehaltserhöhung, so dass er auf einen Zweitjob verzichten kann. "Grundsätzlich bestehen Arbeitsverhältnisse auf gesetzlicher Grundlage, die Entlohnung erfolgt prinzipiell nach den jeweils bestehenden Lohn- und Rahmentarifverträgen", erklärt seine Firma auf Anfrage. Dass auch Döhnerts vierter Vertrag eine Probezeitklausel enthalte, sei "nicht korrekt". Einen Tag später ist der Fehler behoben: Döhnert findet einen unbefristeten Vertrag im Briefkasten.
Haiko Prengel/dpa/vet
http://www.spiegel.de/karriere/berufsle ... 51178.html