18. Mai 2012 - 11:00
Aufmerksame Schweiz – aber genügt das? Von Daniele Mariani, swissinfo.ch
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Die kriminellen italienischen Organisationen, namentlich die 'Ndrangheta, sind zuoberst auf der Sorgenliste der Schweizer Regierung. Einige Experten sind jedoch der Ansicht, die Schweiz sei schlecht gerüstet für den Kampf gegen die Mafia.
"Die grösste Gefahr stellt die 'Ndrangheta dar." Das ist das klare Fazit der Schweizer Strategie zur Bekämpfung des organisierten Verbrechens 2012-2015, welche der Bundesrat Ende März 2012 bekanntgab.
Auch wenn keine schweren Bluttaten wie jene im deutschen Duisburg 2007 (Ermordung von sechs Kalabresen) registriert wurden, sind die 'Ndrine – die Zellen – in der Schweiz bereits gut installiert.
Für die Fachleute ertönt die Alarmglocke der Schweizer Regierung nicht überraschend. Denn seit Jahren betonen Justizbehörden, Polizei und einige Politiker, dass die italienischen Mafia-Organisationen ihre Präsenz in der Schweiz verstärken.
Eine echte physische Präsenz, die sich akzentuiert hat infolge des Drucks auf die Mafia in Italien und durch die "Eroberung" des Nordens, bestätigt durch die kürzlich erfolgte Verhaftungswelle in der Lombardei.
Zahlreiche Beweise und Indizien
Beweise und Indizien für diese Präsenz in der Schweiz sind vorhanden: Im Mai 2011 wurde zum Beispiel ein gefährliches 'Ndrangheta-Mitglied, das ungestört in Frauenfeld, Kanton Thurgau, lebte, in Genua festgenommen.
Wenige Monate zuvor hatte die Antimafia-Behörde von Reggio Calabria am Ende ihrer Operation 'Crimine 2' die internationale Vernetzung der kalabresischen Zellen aufgezeigt, mit wichtigen Ablegern in Deutschland und auch in der Schweiz, besonders in Frauenfeld und in Zürich. "An diesen Orten wurde das Strukturmodell der kalabresischen 'Ndrangheta nachgebildet", schrieb der italienische Ermittlungsrichter.
Die aufgezeichneten Abhöraktionen in den Ermittlungsakten lassen keine Zweifel offen. Zum Beispiel in einem Telefongespräch, das auf einen so genannten "'Ntono dalla Svizzera" anspielt, der den im Juli 2010 in Italien verhafteten Clanchef Giuseppe Antonio Primerano ersucht hat, seine eigene Herrschaft auch in Deutschland und später in der Schweiz ausüben zu können.
Oder als Domenico Oppedisano – der Boss der Bosse, der ebenfalls im Juli 2010 festgenommen wurde – von einer "Bürgschaft von 20 Millionen auf einer Bank in der Schweiz" spricht.
Aus naheliegenden geografischen Gründen erregt die Situation vor allem in den Kantonen Tessin und Wallis Besorgnis, wie Jean-Luc Vez in einem Interview mit der Waadtländer Zeitung 24 heures erklärte. Der Chef der Bundespolizei, verantwortlich für die Untersuchungen gegen kriminelle italienische Organisationen, wollte sich jedoch nicht zu den laufenden Ermittlungen äussern.
Besser spät als nie
Schon vor 25 Jahren hatte der Antimafia-Richter Giovanni Falcone seine Schweizer Amtskollegen davor gewarnt, dass nach den Mafia-Geldern auch die Mafiosi selber ins Land kämen.
Ist man in der Schweiz nicht etwas spät erwacht? Die Bundesanwaltschaft weist darauf hin, dass seit 1994 – mit der Aufnahme ins Strafrecht des Deliktes "Beteiligung oder Unterstützung einer kriminellen Organisation" – die Strafmassnahmen auf Bundesebene koordiniert würden. Und seit 10 Jahren läge die Verfahrenskompetenz bei der Bundesanwaltschaft.
"Besser spät als nie", sagt dazu Nicolas Giannakopoulos, Gründer des Observatoriums für organisierte Kriminalität in Genf. "Endlich hat man sich entschieden, den Stier bei den Hörnern zu packen. Jetzt muss man schauen, wie das Problem angegangen werden kann. Je mehr man zaudert, desto schwieriger wird es, eine Spur zu verfolgen. Das einzige Mittel wäre, viel enger mit den italienischen Behörden zusammenzuarbeiten, denn alles beginnt in Italien und kommt wieder nach Italien zurück."
http://m.swissinfo.ch/ger/gesellschaft/ ... d=32593434