Solidarität d. Scheiterns? Pflichtübung Scheitern?

Hier ist Platz für wichtige Erklärungen, die nicht in die Programmdiskussion passen.

Re: Solidarität d. Scheiterns? Pflichtübung Scheitern?

Beitragvon Ricarda » Mo 11. Okt 2010, 09:58

Was sollen die ständigen Wiederholungen über das Fehlen von Lobbys für die, die Öffentlichkeit wollen, und die Schlechtbehandlung derer, die in der Öffentlichkeit verheizt werden.

Es ging hier nur und ausschließlich darum, dass man weder feige noch unehrlich ist, wenn man es persönlich ablehnt, sein persönliches Schicksal öffentlich zu diskutieren.
Die persönlichen Erfahrungen prägen einen auch dann, wenn man sie nicht öffentlich macht.

Den Respekt für die, die ihr persönliches Schicksal nicht öffentlich diskutieren möchten, vermisse ich nach wie vor.
Ricarda
 

Re: Solidarität d. Scheiterns? Pflichtübung Scheitern?

Beitragvon AlexRE » Mo 11. Okt 2010, 10:30

Sall May hat geschrieben:Was sagte nur gestern noch jemand der auch davon betroffen ist: "Beim Amt und bei der Bank muss ich mir von jungen Menschen die unsere Zeit nicht miterlebten sagen lassen, was ich alles verkehrt gemacht habe?" Ja, dahin geht der Trend immer mehr, leider.



Das Problem beschränkt sich nicht auf junge Bankangestellte. Ich habe unabhängig vom Alter der Beteiligten schon öfters gehört, dass für Geschäftskunden zuständige Mitarbeiter von Banken in Unkenntnis der tatsächlich maßgeblichen Branchenverhältnisse unangemessen herablassend mit Unternehmern reden. Das ist sicher ein wichtiges Thema für ein Forum mit dem hiesigen inhaltlichen Profil.

Unabhängig vom jeweiligen Thema kann ich aber immer wieder nur dafür plädieren, die Verärgerung über allgemein eingerissene Unsitten in der Gesellschaft nicht auf Anwesende, also andere Teilnehmer desselben Forums, zu projezieren. Das ist das grösste Hindernis für die Entfaltung der Möglichkeiten der modernen Kommunikationsform "Internetforum".
Der Stuttgarter OB Rommel:

Ich trete überall, wo das notwendig ist, der Meinung entgegen, der Umstand, dass die Diktatur zu allem fähig war, berechtige dazu, die Demokratie zu allem unfähig zu machen.
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Re: Solidarität d. Scheiterns? Pflichtübung Scheitern?

Beitragvon Sall May » Mo 11. Okt 2010, 12:24

Zur freien Meinungsäußerung und freien Entfaltung des Menschen gehört auch, dass man sich so oft wiederholen kann und darf wie es einem persönlich bliebt.

Zur freien Meinungsäußerung gehört des weiteren, das man auch im Falle unterschiedlicher Meinungen nicht alles nur auf sich beziehen sollte. Die daraus resultierenden Streitereien sind kontraproduktiv.

Die allgemeinen Probleme die wir derzeit haben, ziehen sich wie ein roter Faden durch die Gesellschaft. Man kann sich ziemlich sicher sein, wenn die Menschen ihr geregeltes Auskommen mit dem Einkommen hätten, wäre schon 50% des derzeitigen Drucks verschwunden. Viele Diskussionspunkte wären damit hinfällig, und das wäre auch gut so.

Auch scheint man mehrheitlich in unserer heutigen Zeit, nicht mehr bereit zu sein oder gar es zu können, eben auf die die Unterschiedlichkeit des Menschen einzugehen.

Hier ende ich mal mit einem Zitat von Wilhelm von Humboldt:



„Wenn wir eine Idee bezeichnen wollen, die durch die ganze Geschichte hindurch in immer mehr erweiterter Geltung sichtbar ist; wenn irgendeine die vielfach bestrittene, aber noch vielfacher missverstandene Vervollkommnung des ganzen Geschlechtes beweist: so ist es die Idee der Menschheit, das Bestreben, die Grenzen, welche Vorurteile und einseitige Ansichten aller Art feindselig zwischen die Menschen gestellt, aufzuheben; und die gesamte Menschheit ohne Rücksicht auf Religion, Nation und Farbe als einen großen, nahe verbrüderten Stamm, als ein zur Erreichung eines Zweckes, der freien Entwicklung innerer Kraft, bestehendes Ganzes zu behandeln. Es ist dies das letzte, äußere Ziel der Geselligkeit und zugleich die durch seine Natur selbst in ihn gelegte Richtung des Menschen auf unbestimmte Erweiterung seines Daseins.“
Sall May
 

Re: Solidarität d. Scheiterns? Pflichtübung Scheitern?

Beitragvon Ricarda » Mo 11. Okt 2010, 12:25

Wenn mir jemand sagt, ich sei unehrlich, weil ich nicht bereit bin, meine beruflichen und/oder privaten Probleme öffentlich zu diskutieren, dann nehme ich das sogar sehr persönlich - und zwar insbesondere dann, wenn ich wieder und wieder klarzumachen versuche, dass das eine persönliche Entscheidung ist, die nichts mit Unehrlichkeit oder Feigheit zu tun hat.

Ich habe versucht, das Thema öffentlich und grundsätzlich - losgelöst von dem konkreten Sachverhalt zu thematieren - und was passiert? Das Thema wird okkupiert mit den immer und immer gleichen Ausführungen über das schwere Leid derer, die in der Öffentlichkeit keinen Rückhalt finden oder die von der Öffentlichkeit totgeschwiegen werden.

Jeder hat das Recht zur freien Meinungsäußerung. Aber man sollte sich auch darüber im klaren sein, dass man anderen dieses Recht einschränkt oder nimmt, wenn man das, was sie zu sagen haben, in einem Wortschwall zu anderen Themen begräbt.

Und es zeugt auch nicht gerade von Respekt, wenn man auf das, was derjenige, der den Thread eröffnet hat, überhaupt nicht adäquat eingeht.
Ricarda
 

Re: Solidarität d. Scheiterns? Pflichtübung Scheitern?

Beitragvon Sall May » Mo 11. Okt 2010, 12:25

Hat hier jemand deine Person namentlich angegriffen? Nein, so war und ist das nicht. Deshalb sollte man jetzt friedvoll das unnötige Kriegsbeil begraben, Ricarda.

Übrigens am vergangen WE hatte ich Gespräche mit einer Betreuten. Zuvor war das mal eine Frau die auch beruflich Topp im Leben stand. Dann schlug das Schicksal zu, anstatt das Gerichte und andere sich den tatsächlichen Sachverhalt anhörten und ernstnahmen, hat man es so lange betrieben, bis diese Person unter Betreuung kam. Bloß das der männliche Betreuer sich nur 1x im Monat dort sehen lässt.

Unter Betreuung verstehe ich dann auch, wenn ein Mensch tägliche Hilfe braucht, den man ohnehin runterzog, diese auch gibt. Also, wenn er Bettlägerig geworden ist, dann muss man halt jeden Tag vorbeikommen. Wenn er es nicht schafft seine Wohnung in Ordnung zu halten, dann verstehe ich unter Betreuung, das dies auch der Betreuer zu leisten hat.

Wenn die Betreuer dies und noch viel mehr nicht leisten können, was soll dann die Betreuung? Dann muss man das der Öffentlichkeit auch mal sagen, das man das Wort Betreuung komplett verdreht hat.

Betreuung z. B. Kranker fand früher im Familienkreis statt, diese Form der Fürsorge oder Obsorge, findet heute kaum mehr statt. Familienbande wurden zersplittert, Einzelpersonen werden in die Hilflosigkeit gebracht und später unter Betreuungen die keinesfalls eine umfassende Fürsorge leisten, und leisten können gebracht. Hier hinkt etwas ganz gewaltig.
Sall May
 

Re: Solidarität d. Scheiterns? Pflichtübung Scheitern?

Beitragvon Ricarda » Mo 11. Okt 2010, 12:26

Die Vorstellungen von dem, was ein Betreuer zu leisten hat, sind ebenso niedlich wie weltfremd.

Zum einen können Betreuer nichts dafür, dass für ihre Tätigkeit eine Bezeichnung gewählt wurde, die etwas anderes erwarten lässt, als gemeint ist. Zweitens ist es nicht Aufgabe des rechtlichen Betreuers, soziale Betreuung zu leisten. Er kann versuchen diese zu organisieren, kann aber auch an denselben Hürden scheitern wie jeder Mensch, der seine Sachen noch selbst regeln kann.

Die Aufgabe des rechtlichen Beteuers ist es grundsätzlich, jene Defizite auszugleichen, die durch eine Krankheit oder Behinderung im Sinne des Betreuungsrechts entstanden sind. Dabei geht es genau um die Krankheit, die ihn hindert, seine Sachen selbst zu regeln. Wer also krank ist, aber keine betreuungsrelevante Krankheit oder Behinderung hat, müsste in der Lage sein, sich einen Pflegedienst zu engagieren, zum Arzt zu gehen, einen Krankenwagen zu rufen, möglichweise zu entscheiden, dass er die Hilfe zuhause nicht organisieren kann. Er könnte entscheiden, ob seine berufliche Existenz zu retten ist oder ob er Privatinsolvenz betreibt und Hartz IV beantragt usw. usw.

Aber: Der Betreuer nimmt nur die Möglichkeiten in Anspruch, die ein betreuungsbedürftiger Mensch selbst nicht realisieren kann. Er ist nicht selbst derjenige, der alles zu leisten hat, was dem wohltut und - wie gesagt, auch wenn er vielleicht berufsbedingt ein paar zusätzliche Möglichkeiten kennt, scheitert er im Prinzip an denselben Barrieren wie ein nicht betreuungsbedürftiger Mensch.

Berufsbetreuer erhalten - außer im ersten Jahr der Betreuung - pro Monat eine Vergütung für 2 bis 4,5 Stunden und werden auf eine Mischkalkulation verwiesen. Was ich also bei dem einen spare, kann ich beim anderen mehr verwenden. Mit 2 Stunden für einen Heimbewohner kann man den nicht mal monatlich besuchen, wenn auch noch anderes zu regeln ist - Sozialhilfe, Zuzahlungsbefreiung, Wohnungsräumung, Rechnungslegung etc. etc. Tatsächlich arbeite ich das doppelte bis dreifache. Auskömmlich leben nur Kollegen ab 40 Betreuungen aufwärts. Manche haben über 100.
Ricarda
 

Re: Solidarität d. Scheiterns? Pflichtübung Scheitern?

Beitragvon Sall May » Mo 11. Okt 2010, 12:57

Wenn manche Betreuer über 100 Betreuungsfälle haben, dann stellt sich mir die Frage wieviel Betreuer und Betreute gibt es derzeit in Deutschland. Gibt es da irgendwo eine Statistik?

Als niedlich oder weltfremd würde ich die Vorstellung der Obsorge nicht bezeichnen wollen, vielleicht eher als sarkastischen oder ironischen Einwurf.
Sall May
 

Re: Solidarität d. Scheiterns? Pflichtübung Scheitern?

Beitragvon Ricarda » Mo 11. Okt 2010, 12:58

Sorry, aber die Vorstellung der sozialen Fürsorge des rechtlichen Betreuers ist nach allem, was sich der Gesetzgeber vorgestellt hat, nach allem, was über den Aufgabenbereich von Betreuern veröffentlicht ist und nach allem, was sich in den parlamentarischen Diskussionen offenbart hat, recht weltfremd - wobei Welt die derzeit reale Wirklichkeit ist.

So Deppen, die mit den Betreuten einkaufen gehen, damit die genug zu essen haben, bevor sie den Rest verzocken, gibt es relativ selten. Das sind die belächelten Exoten, die ausgesondert werden.

Man hat sich 1992 für den Begriff "Betreuer" entschieden, weil man meinte, da klänge etwas "Treuhänderisches" und das habe auch mit "Vertrauen" zu tun. Im Gespräch war auch das österreichische "Sachwalter". Wohlgemerkt: hier geht es nur um den Namen für das, was gewollt war, nicht um die Ausgestaltung.

Wenn ich es mir so überlege, wäre Sachwalter gar nicht so schlecht gewesen. Ob der Besachwalterte vom Sachwalter dasselbe erwarten würde wie der Betreute von einem Betreuer?

Statistiken zumindest über die Zahl der Betreuungen gibt es im Internet. Durch die Erhöhung der Betreuungszahlen dürfte seit 2005 etwa 1/3 der Berufsbetreuer aus dem Beruf entfernt worden sein.
Ricarda
 

Re: Solidarität d. Scheiterns? Pflichtübung Scheitern?

Beitragvon Sall May » Mo 11. Okt 2010, 15:52

Betreuungsfälle steigen also immer mehr: http://www.bmj.bund.de/files/-/1453/Verfahren%20nach%20dem%20Betreuungsgesetz%201992%20-%202009.pdf

Sich mit diesen und weiteren, dazu gehörenden, Statitsiken und Themen zu beschäftigen wäre wohl nicht verkehrt. Doch wer hat die Zeit und das Interesse daran?



Auch für die Tätigkeit der früheren Vormünder und Pfleger als Betreuerinnen und Betreuer beinhaltet das Betreuungsrecht viele Vorteile. Von Betreuung betroffen sind Erwachsene, die aufgrund einer psychischen Krankheit oder einer körperlichen, geistigen oder seelischen Behinderung ihre Angelegenheiten ganz oder teilweise nicht besorgen können. Viele der Betroffenen sind alte Menschen. Die Regelungen werden für sie zunehmend von Bedeutung sein. Der Anteil älterer Mitbürger an der Gesamtbevölkerung wird sich in den kommenden Jahren wesentlich erhöhen. So ist heute bereits jeder vierte Bundesbürger älter als 60 Jahre und schon im Jahre 2030 wird es jeder Dritte sein. Für viele kann dies bedeuten, dass sie im letzten Abschnitt ihres Lebens auf die Hilfe anderer angewiesen sind.

Quelle: http://www.bmj.bund.de/enid/Statistiken/Betreuung_w8.html



Wer also alt und gebrechlich ist, wer körperlich eingeschränkt ist, den kann man kurzerhand unter Betreuung stellen, doch die erforderliche Betreuung, außer das er so quasi einen Vormund hat, ist damit immer noch nicht gewährleistet? Da verdienen dann mehere Stellen an einem Fall, und wer noch klar denken kann aber köperlich gebrechlich ist, muss sich irgendwie trotzdem auch noch kümmern?

Wie will man denn überhaupt festellen wer unter Betreuung gehört? Wenn man z. B. jemanden mobbt oder Unrecht tut und der Infolge dessen nicht mehr kann, ist der Personenkreis dann nicht noch doppelt und dreifach gestraft, wenn man ihm so einen quasi Vormund vorsetzt? Wie fürsorglich wird das alles eigentlich behandelt?

PS. Und wenn immer weniger Familie haben, aber noch Rente und unter staatliche Betreuung kommen, dann verdient der Staat wieder an diesen Fällen?
Sall May
 

Re: Solidarität d. Scheiterns? Pflichtübung Scheitern?

Beitragvon Ricarda » Mo 11. Okt 2010, 15:54

Damit haben wir das von einigen zu hartnäckig gemiedene Anfangsthema, um das es eigentlich ging, endgültig vom Tisch, nicht wahr?

Worum geht es jetzt gerade?
1. Dass Berufsbetreuer die Erwartungen erfüllen sollen, die man aufgrund der irreführenden Berufsbezeichnung an sie richtet?
2. dass die Welt böse und ungerecht ist
3. dass manches geändert werden müsste, z.B. dass etwas geboten wird, das nicht diffamierend ist und hilft, das keine Krankheit voraussetzt, sondern nur den Wunsch oder Bedarf an Hilfe, das kurzzeitig Krisen abfängt usw. usw.?

Und wie sollen wir dafür kämpfen, wenn sich die einen anmaßen, die anderen als unehrlich zu bezeichnen, weil sie ihr persönliches Schicksal nicht nach außen tragen wollen und die dann hartnäckig nicht begreifen, worum es hier gehen sollte?

Ich habe gehofft, wir könnten anfangen, ein Netzwerk aufzubauen, das einiges von dem bieten kann, was der Staat nicht bietet. Die Hoffnung habe ich aus den Gründen, die mich diesen Thread eröffnen ließen, verloren.
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