Täter und Unterlassungstäter

Hier wird das Problem des zunehmend mangelhaften Schutzes der Bürger vor Gewalttaten und dessen verfassungsrechtliche Relevanz erörtert. (Artikel 1 Abs. 1 Satz 2 GG)

Täter und Unterlassungstäter

Beitragvon AlexRE » So 4. Jul 2010, 16:30

Der sogenannte "20 - Cent - Mörder" hat erneut ein schweres Gewaltdelikt begangen:

In der Pause kommt es zum Streit. Eine Mitschülerin: „Er sagte zu Jennifer: Du kommst mit auf den Kiez und gehst für mich auf den Strich.“ Jennifer weigert sich, das Paar streitet sich heftig. Polizei-Sprecher Andreas Schöpflin: „Er stieß sie zu Boden, trat und würgte sie. Dabei wurde sie schwer verletzt.“

(...)

Rückblick: Am 12. Juni vergangenen Jahres schnorren Berhan I. und sein Kumpel Onur K. (17) auf dem Bahnhof Harburg Dachdecker Thomas M. um 20 Cent an. Als der 44-Jährige den Jugendlichen kein Geld gibt, schlagen sie ihn zu Boden, treten dann auf ihr wehrloses Opfer ein. Thomas M. stirbt drei Wochen später. Berhan I. soll der Haupttäter gewesen sein.

(...)

• Die Beisitzende Richterin schaffte es nicht, wegen der Aschewolke rechtzeitig aus dem Spanien-Urlaub zum Prozess zu kommen – obwohl sie vier Tage Zeit hatte.

• Der neue Prozess wird zu spät terminiert – weil eine weitere Beisitzende Richterin ihren Urlaub nicht verschieben wollte.

• Jetzt war die Sechs-Monats-Frist überschritten. Beginnt ein Prozess nicht nach spätestens einem halben Jahr, müssen die Inhaftierten freigelassen werden. So auch Berhan I. und sein Kumpel Onur K.


Quelle: bild.de siehe auch mopo.de

Das ist nicht der erste Fall, in dem ein des Mordes oder Totschlags dringend Tatverdächtiger wegen Überschreitung der maximal zulässigen Dauer der U-Haft vor Prozessbeginn freigelassen werden musste. Diesmal wurde dadurch eine junge Frau einem Verbrechen ausgesetzt. Sie ist ganz eindeutig ein Justizopfer.

Es wird höchste Zeit, dass derartiges Staatsunrecht Gegenstand eines Staatshaftungsprozesses wird.
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Ich trete überall, wo das notwendig ist, der Meinung entgegen, der Umstand, dass die Diktatur zu allem fähig war, berechtige dazu, die Demokratie zu allem unfähig zu machen.
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Re: Täter und Unterlassungstäter

Beitragvon AlexRE » So 4. Jul 2010, 17:43

Gerade auf realization geschrieben:

moddi hat geschrieben:Da fehlen mir die Worte. Was bilden sich diese Richterinnen eigentlich ein? Ginge es dabei um ihre Tochter oder ihren Partner, wären sie wohl rechtzeitig zu diesem Prozess erschienen, selbst wenn sie sich am Ende der Welt aufgehalten hätten.


So tragisch das für das Mädchen auch ist, genau genommen ist die Sache noch glimpflich ausgegangen. Immerhin mussten sie wegen der Überschreitung der maximalen U-Haft - Dauer einen des Mordes dringend Tatverdächtigen freilassen.

Wenn in so einem Fall ein weiterer Mensch getötet wird, dann ist das ein echtes Staatsverbrechen durch Unterlassen. Daher die Überschrift "Täter und Unterlassungstäter".
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Re: Täter und Unterlassungstäter

Beitragvon CoolCheffe » So 4. Jul 2010, 17:58

Mich wundert solch ein Verhalten nicht, kommt doch jeder Politkrimineller mit den gleichen oder ähnlichen Hintergründen auch frei.

Akten verschwunden - Fristen nicht eingehalten - oder was besonders schlimm ist ... es besteht kein Interesse (Vorteil) einer Strafverfolgung für die Allgemeinheit. Deutschland ist zur Bananenrepublik verkommen, oder zumindest auf dem besten Weg dorthin.
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Re: Täter und Unterlassungstäter

Beitragvon Ricarda » So 4. Jul 2010, 22:02

Es ist zum einen erstaunlich, dass ein Gesetz, dass eine beschleunigte Bearbeitung gravierender strafrechtlicher Vorwürfe bewirken soll, faktisch dazu führt, dass mutmaßliche Mörder oder Totschläger frei rumlaufen. Es wundert mich schon, dass man bei einem solchen Sachverhalt überhaupt zeitlich an jene Grenze kommt, bei der sich eine Verzögerung durch Vulkanasche so verhängnisvoll auswirken kann.

Zum anderen vermute ich, dass dann, wenn Eltern auf den Gedanken gekommen wären, ihre Kinder vorübergehend nicht zur Schule zu schicken, weil sie mit dem Gewalttäter in einer Klasse sind, die Staatsgewalt sehr "gut" funktioniert und erst mal ein Bußgeld gegen die Eltern verhängt hätte.
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Re: Täter und Unterlassungstäter

Beitragvon AlexRE » So 4. Jul 2010, 22:03

Ricarda hat geschrieben:Es wundert mich schon, dass man bei einem solchen Sachverhalt überhaupt zeitlich an jene Grenze kommt, bei der sich eine Verzögerung durch Vulkanasche so verhängnisvoll auswirken kann.


Das wundert mich allerdings auch. Wie ticken eigentlich Leute, die sich für unanfechtbar halten?

Das ist die Truppe, die mit ihrem Urlaubsplanungsmurks die Freilassung des 20 Cent - Mörders zu verantworten hat:

Bild

http://www.mopo.de/2010/20100705/hamburg/panorama/die_chronik_eines_skandal_prozesses.html

Irgendwie machen die auf mich den Eindruck, als ob sie sich überhaupt nicht vorstellen könnten, dass jemand ihre Autorität in Zweifel zu ziehen wagen könnte. Das ist vermutlich das eigentliche Problem....
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Re: Täter und Unterlassungstäter

Beitragvon Hase » So 4. Jul 2010, 22:44

Wer weiß schon was die sich dabei gedacht haben?

Offensichtlich nur an den Urlaub gedacht der ausgefallen wäre bei einer Vertretung der festsitzenden Richterin.

Das hätte sich mal ein "normale Arbeitnehmerin erlauben sollen, die Kollegin nicht zu vertreten. Die hätte niemehr vom Urlaub zurück kommen brauchen
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Re: Täter und Unterlassungstäter

Beitragvon AlexRE » Mo 5. Jul 2010, 13:46

Wie ich vermutet hatte, die rechtlichen Gründe für die Freilassung waren gar nicht so zwingend:

Nach der erneuten Gewalttat eines 17-jährigen Angeklagten im sogenannten 20-Cent-Prozess hat sich die Präsidentin des Hamburger Landgerichts, Sibylle Umlauf, betroffen gezeigt.

(...)

Die Freilassung der Angeklagten durch das Hanseatische Oberlandesgericht habe - im Gegensatz zum Vorsitzenden Richter bei dem Prozess - "auf einer anderen rechtlichen Einschätzung" basiert,


Quelle: ln-online.de

Ich habe den Artikel dort kommentiert:

Was für eine andere rechtliche Einschätzung?
Ist die Grenze von 6 Monaten U-Haft doch nicht so starr, wenn sich die Anberaumung der Hautpverhandlung wegen höherer Gewalt um ein paar Tage verzögert?

Dass ein OLG - Senat das Leben unbeteiligter Dritter riskiert, um das LG zu belehren und künftigen Nachlässigkeiten vorzubeugen, wundert mich allerdings nicht wirklich.


Nach § 121 Abs. 2 StPO hätte das OLG auch die Fortdauer der U-Haft anordnen können.

Die Strafprozessordnung befindet sich wie alle Gesetze in einer Normenhierarchie. Die Vorschrift, nach der die U-Haft höchstens 6 Monate dauern darf, muss wie alle einfachgesetzlichen Vorschriften im Lichte höherrangiger Normen interpretiert werden. Auch dieses Gesetz darf nicht so angewendet werden, dass die höchstrangigen Persönlichkeitsrechte des zu erwartenden nächsten Opfers aus Art. 1 und 2 GG sowie das Rechtsstaatsprinzip verletzt werden.


Wie bereits im ersten Beitrag dieses threads geschrieben, es wird Zeit für ein offensives Vorgehen der Geschädigten in solchen Fällen, z. B. mittels eines Staatshaftungsprozesses.
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Re: Täter und Unterlassungstäter

Beitragvon Hase » Mo 5. Jul 2010, 14:05

Fristen sind immer nur GANZ WICHTIG wenn der Bürger ewas von einem Amt-dem Staat möchte, andersrum gibt's das nicht wirklich.

Die Bearbeitungszeit eines Antrags beim Jugendamt auf eine "schnelle Hilfe für ein Kind" kann locker 7 Monate dauern, welcher dann in einem Ablehnungsbescheid endet. Mit Widerspruch (Frist innerhalb 4 Wochen) und Antwort (4 Monte später) dem schnellen aufsuchen eines Anwalts (Frist 4 Wochen) kann die Sache sich dann insgesamt 2 Jahre hinziehen bis der Gerichtsterminanberaumt wird. Welcher dann jedoch abgesagt wurde, weil die Eltern "aufgrund der rasenden Hilfe für das Kind " in einen anderen Landkreis gezogen sind um dem Kind dort Hilfe angedeihen zu lassen.

Das Gericht setzte den Verhandlungstermin aus, WARTETE BIS NACH DEM UMZUG der Eltern ab und sah sich damit nicht mehr im Stande ein Jugendamt NACHTRÄGLICH zu verurteilen das NUN ja nicht mehr zuständig war. Das damit AUTOMATISCH das neue Jugendamt diese Hilfe gewährleisten hätte müssen (also kein neuer Antrag ergehen hätte müssen) haben die einfach übersehen. Die Eltern hatten damit verloren und die Rechnung "FÜR NIX" noch zahlen können.


Hier ging es NUR um eine Hilfe für ein Kind. 7 Monate Bearbeitungszeit und die Prozessverschleppung sind auch nicht zulässig, hat aber keinen interessiert.

Das ein Gewaltäter wegen einer Frist freigelassen werden muss, ist für mich nicht nachzuvollziehen, da die Willkür der Behörden (auch der Gericht) sehr oft laufen wenn sie gegen "Hilfebedürftige und unschuldige Bürger" durchgezogen werden.
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Re: Täter und Unterlassungstäter

Beitragvon Sall May » Mo 5. Jul 2010, 16:44

Was ich gar nicht verstehen kann, ist die Tatsache, wenn ein Bürger Fristen nicht schaffen kann, dann wird er bestraft. Wenn Behörden Fristen nicht einhalten, dann haben die Betroffenen es unter persönliches Pech zu verbuchen?

Ein Thema über das wir künftig noch viel tiefer in die Tiefe gehen können sollten.
Sall May
 

Re: Täter und Unterlassungstäter

Beitragvon AlexRE » Mi 7. Jul 2010, 16:37

Der Haftgrund der Wiederholungs- und Fortsetzungsgefahr nach § 112a StPO scheint bei der Justiz aus irgendwelchen unerfindlichen Gründen verpönt zu sein, es passiert wirklich eine haarsträubende Geschichte nach der anderen mit frei herumlaufenden Intensivtätern:

Der Abgeordnete kann den Angriff nur knapp abwehren, schlägt dem Täter gezielt gegen die Brust. Wenige Minuten später nehmen alarmierte Polizeibeamte den Messerstecher fest. Öztürk: „Ich stellte gegen den Kerl Anzeige wegen versuchten Totschlags.“

Bei dem Angreifer handelt es sich um den Intensivtäter Ali El M. (19). In seiner Akte stehen über 100 Straftaten.

(...)

Die Beamten nahmen Ali mit auf die Wache. Doch schon am Abend stand er wieder vor der Tür des Politikers, schrie: „Du bist dran, ich kriege dich.“ Der Grüne kann nicht verstehen, dass der Verbrecher nicht aus dem Verkehr gezogen wird.


Quelle: bild.de

Dass es diesmal einen grünen Berufspolitiker erwischt hat ( "Gutmensch" ), finden vielleicht viele Leute witzig, aber mir ist das Lachen über so etwas angesichts der erschreckenden Verantwortungslosigkeit der Staatsmächtigen in der dritten Gewalt ganz grundsätzlich und ohne Ansehen der betroffenen Personen schon lange vergangen.
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