ZEIT ONLINE - "Gefährdete Altersgruppen: Jung, fit und plötzlich am Beatmungsgerät"Derzeit häufen sich Berichte, dass gerade auch junge Menschen schwer an Covid-19 erkranken. Stimmt das wirklich? Warum manche die Infektion unterschätzen[/b]
[...]
Landgraf, die zudem Lehrärztin der Berliner Charité ist, im Vorstand des Hausärzteverbands Berlin und Brandenburg und der Deutschen Gesellschaft für Telemedizin, sagt: "Viele Leute, auch die Jungen, halten sich für nicht so krank, erreichen aufgrund der Überlastung des Systems keinen Arzt, keinen Test, keine Kontrolle – und kommen dann auch noch aus Angst vor Ansteckung vielleicht zu spät ins Krankenhaus."
Und so steht man mit einem Mal auch als junger, gesunder Mensch mit guter Immunabwehr in einem Nebel aus Verunsicherung, Schrecken und Viren und fängt an zu googeln und sieht da:
Dass am 15. März der 21-jährige Fußballtrainer Francisco Garcia aus Malaga dem Sars-CoV-2-Virus erlag.
Wie der 38-jährige Fausto Russo, nicht rauchend, nicht trinkend, Fitnesscoach und Trainer des Fußballvereins Atletico Terme Fiuggi der dpa am 23. März vom Krankenhausbett bei Rom sagt: "Glaubt bloß nicht, was sie euch sagen - dass es nur die Alten und Schwachen trifft!"
Dass der Chefarzt der München Klinik Clemens Wendtner am 25. März berichtet, sie müssten auch junge Menschen in ihren Zwanzigern und Dreißigern nach wenigen Stunden in der Notaufnahme intubieren, also künstlich beatmen.
Wie am 26. März in Paris die zuvor angeblich topfitte 16-jährige Julie A. Europas jüngstes Corona-Opfer wird.
Dass der britische Guardian am 1. April berichtet, fast 40 Prozent der in den USA ins Krankenhaus eingewiesenen Patienten und Patientinnen seien jünger als 55 Jahre alt.
Dass am 2. April in Frankreich vermeldet wird, unter den schweren Fällen auf den Intensivstationen seien 6 Prozent der Menschen zwischen 60 und 80 – und 35 Prozent jünger als 60 Jahre und 90 Personen jünger als 30.
Wie am 6. April der Münchner Merkur zwischenbilanziert: "Coronavirus: Vier Jugendliche (12, 13, 14, 16) gestorben".
Und dass unter Fachleuten allerhand Hypothesen zu jungen Corona-Fällen kursieren, die sich in dieser kurzen Zeit mit der neuen Infektionskrankheit aber noch nicht verifizieren lassen.
Der Virologe Christian Drosten erklärt: Die jüngeren Opfer seien in den Medien überrepräsentiert.
Das stimmt. Und hat natürlich damit zu tun, dass über Ereignisse, die außerhalb des Erwartbaren liegen, also junge Covid-19-Tote, öfter berichtet wird. Und sie werden oft verkürzt dargestellt und/oder wahrgenommen.
Eine Datenvisualisierung der Süddeutschen Zeitung vom 7. April zeigt: Haben Personen, die jünger sind als 60 Jahre, Symptome, dann müssen von 1.000 von ihnen 47 ins Krankenhaus und 953 werden wieder gesund. Nur wenige dieser 4,7 Prozent haben einen so schweren Verlauf, dass sie beatmet werden müssen. Und von den unter 30-jährigen positiv Getesteten mussten 98,8 Prozent gar nicht ins Krankenhaus. Die meisten Jungen und Gesunden spüren nicht einmal, dass sie infiziert sind. [...]
Zu den Hintergründen der genannten Fälle muss man sagen: Der spanische Fußballtrainer hatte eine ihm nicht bekannte Vorerkrankung, Leukämie. Ob das Mädchen tatsächlich so topfit war, ist zumindest unklar.
Ein großer Teil US-amerikanischer Jugendlicher ist übergewichtig, daher sagte die New Yorker Kinderärztin Edith Bracho-Sanchez dem Guardian: "Die Kinder, die ich ins Krankenhaus schicken musste, hatten Vorerkrankungen, durch die sie immungeschwächt waren."
In Frankreich bessert man allmählich die Test- und Zählweise nach, die anfänglich schubweise verlautbart wurde und vor allem Krankenhäuser und nicht Altenheime miteinbezog. Und die aktuell noch verhältnismäßig vielen jungen Patienten in deutschen Kliniken waren, so erklärt es der Chefarzt Wendtner, oft diejenigen, die zu Beginn der Infektionswelle im Skiurlaub oder feiern waren, also da, wo der Virus erstmals intensiv inhaliert wurde.
Also muss man, nach dem ersten Erschrecken und der genaueren Betrachtung, erst mal nüchtern festhalten: Extrem wenige Menschen unter 75 erkranken schwer an Covid-19. Bei Krankheiten wie Malaria sieht das anders aus.
Daran stirbt jedes Jahr eine halbe Million Menschen, 90 Prozent von ihnen Afrikaner und Afrikanerinnen weit unter 75 Jahren, vor allem Kinder. Die schwächsten unter ihnen sind diejenigen, die auch Corona am meisten treffen wird, ob direkt oder indirekt.
Unverwundbar ist kein Mensch. Nicht mal die Starken. Das wird manchen von uns im westlichen Wohlstand, der angeblich durch Hochleistungsbereitschaft garantiert werden kann, gerade bewusst. Auch und gerade, wenn wir es nicht wahrhaben wollen.Unter den ersten Covid-19-Fällen sahen die Mediziner in Norditalien auch Hochleistungssportler. Nicht alle verwunderte das. Denn Extremsportler gehen per Definition gern an und über ihre Grenzen hinweg. Und es kann auch unter Menschen mit einer starken Immunabwehr zu einem unter Intensivmedizinern gefürchteten Phänomen kommen, dem sogenannten Zytokinsturm oder nachfolgendem Inflammatorischen Schock.
Nachfolgend, weil der erste Virenangriff durch das Immunsystem gebannt wurde. Man scheint erholt. Ein starker, gesunder Mensch kann gut kompensieren. Doch plötzlich reagiert das Immunsystem über, Entzündungszellen überfluten den Körper und können ihn zum Kreislaufzusammenbruch treiben. Klinikchefs beschreiben das auch im Zusammenhang mit Corona.Wendtner spricht vom Zytokinschock, Claudia Spies, Klinikdirektorin der Berliner Charité für Anästhesiologie und Intensivmedizin, sagt: "Ich habe junge Menschen mit einer schweren Sepsis erlebt, die bis kurz vor ihrem kompletten Kreislaufzusammenbruch klinisch nicht auffällig waren."
Weil sie so jung und stark sind, dass sie lange kompensieren können, würden sie oft viel später diagnostiziert und könnten auch versterben, wenn sie nicht umgehend kompetent behandelt werden. Sie sagt: "Es kann zu einer massiven Abwehr kommen, die abhängig ist von der Viruslast, der Abwehrfunktion des Patienten und der Balance, diese Abwehr unter Kontrolle zu halten, um genügend Erreger abzuwehren, ohne sich selbst zu zerstören."
Wenn man mit Ärzten und Ärztinnen über dieses Phänomen spricht, kommen diese allerdings zu unterschiedlichen Einschätzungen. Je nachdem, in welchem Zustand sie Corona-Patienten und -Patientinnen erleben. Ob sie vom Ende oder vom Anfang her arbeiten. Und in welcher Phase der Erforschung, Erkenntnis und Erfahrung dieser neuen Krankheit wir uns alle – Mediziner, Medien, Menschen – weltweit befinden: Sie verändert sich quasi minütlich. Die einen warnen davor, spät ins Krankenhaus zu gehen, andere sagen, dass sich für den Verlauf der Krankheit kaum etwas ändere.
[...]
Mehr dazu unter der Quelle:
https://www.msn.com/de-de/nachrichten/c ... li=BBqg6Q9