Und wieder ein Justizskandal

Hier wird das Problem des zunehmend mangelhaften Schutzes der Bürger vor Gewalttaten und dessen verfassungsrechtliche Relevanz erörtert. (Artikel 1 Abs. 1 Satz 2 GG)

Und wieder ein Justizskandal

Beitragvon Santo » Sa 17. Jan 2009, 18:11

Beitrag vom 26.08.2008 14:11 Uhr

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Wie das Magazin report München am gestrigen Abend berichtete, hat eine der letzten Eilentscheidungen des Bundesverfassungsgerichts für erhebliches Aufsehen gesorgt.

"Datenschutz contra Opferschutz -Gesperrte Handydaten, hilflose Ermittler
Autor : Oliver Bendixen, Sabina Wolf

Es ist schon fast heller Tag, als in Nürnberg eine junge Frau nach einem Discobesuch nach Hause gehen will. Doch ein Unbekannter folgt ihr. Die Frau will mit ihrem Handy noch um Hilfe rufen. Aber der Täter ist schneller. Er entreißt ihr das Telefon, überwältigt sie. Drängt sie in eine Ecke - dann vergewaltigt er sie. Nur, weil er das Handy des Opfers raubt, kann die Polizei, schnell den Täter fassen.

Horst Hanschmann, Kripo Nürnberg: "Das Opfer soll die Tat verarbeiten und da gehört nach unserer Einschätzung die schnelle Täterermittlung dazu. Sie spielt wahrscheinlich sogar eine sehr große Rolle."

So fürchterlich die Tat für das Opfer ist: Nach der Eilentscheidung des Bundesverfassungsgericht vom 11. März 2008 hätte die Nürnberger Kripo kaum eine Chance gehabt, den Vergewaltiger mithilfe gespeicherter Handydaten zu fassen.

Horst Hanschmann, Kripo Nürnberg: "Wenn das Handy nicht geraubt worden wäre, wäre nur in Anführungszeichen ein Verbrechen der Vergewaltigung vorgelegen und eine Ermittlung des Täters wäre vermutlich nicht möglich gewesen."

Nur aufgrund der Klage einer Bürgerinitiative mussten die Karlsruher Richter entscheiden. Im Moment dürfen Polizei und Justiz nur noch bei wenigen schweren Straftaten auf sogenannte Vorratsdaten zugreifen. Vorratsdaten sind bei den Telefonfirmen gespeicherte Informationen, wann, wie lange und von welchem Telefon aus ein Gespräch geführt wurde. Vergewaltigung zählt demnach nicht mehr als schwere Straftat.

Wilhelm Schmidbauer, Polizeipräsident München: "Dieser Sieg ist teuer erkauft. Er hat massive Beeinträchtigungen der polizeilichen Möglichkeiten der Kriminalitätsbekämpfung zur Folge. Reicht vom Trickbetrug über Körperverletzung mit Todesfolge bis hin zur Vergewaltigung."

Auch Gisela Piltz, Abgeordnete des Bundestages, hat für die FDP in Karlsruhe geklagt. Sie ist stolz, einen Sieg für die Bürgerrechte und den Datenschutz errungen zu haben.

Gisela Piltz, FDP, MdB: "Wenn Sie Jura studiert haben, dann lernen Sie im ersten Semester, dass Recht mit Gerechtigkeit - aus meiner Sicht – leider nichts zu tun hat. Aber es gibt einfach Grenzen bei Ermittlungstätigkeiten und es gibt leider manchmal auch Grenzen bei der Aufklärung. Aber es geht eben hier, wie immer im Leben, um eine Abwägung zwischen den Daten, die von allen anlasslos, und ich betone noch mal, anlasslos von jedem Menschen in Deutschland gesammelt werden und natürlich um einige kritische Einzelfragen."

Beate Merk, CSU, Justizministerin Bayern: "Opferschutz ist das Allererste. Und dafür müssen wir uns einsetzen. Und wenn gesagt wird, man soll bestimmte Vorratsdaten nicht nutzen dürfen, dann muss man sich fragen lassen, wo man in der Abwägung Schwerpunkte setzt. Darauf, den Menschen Schutz zu bieten und ihnen zu helfen oder aber, ob es um Befindlichkeiten, die Freiheitsrechte auch der Straftäter geht."

Der spektakuläre Fall der Münchner U-Bahn Schläger zeigt die ganze Absurdität der Diskussion. Im Dezember vergangenen Jahres prügelten zwei junge Männer diesen Rentner fast zu Tode. Sowohl die ebenfalls umstrittene Video-Überwachung als auch die Auswertung der Handydaten führten zur Festnahme der Täter innerhalb weniger Stunden. Sie hatten mit einem kurz zuvor geraubten Handy weiter telefoniert, wurden so erkannt und zur Festnahme gleich auch noch geortet.

Bruno N., Pensionär: "Wir haben uns alle gefreut, dass die Täter so schnell gefasst worden sind. Allein mit dieser Kamera wäre das nicht so schnell passiert. Wenn überhaupt etwas passiert wäre."

Die Entscheidung von Karlsruhe schränkt auch die Aufklärung im Bereich Trickbetrug ein. Tag für Tag bringen in Deutschland Trickbetrüger arglose alte Menschen um ihre Ersparnisse. Ganze Serien dieser Betrügereien konnten in der Vergangenheit geklärt werden. Viele nur deshalb, weil die Kripo auf gespeicherte Vorratsdaten zurückgreifen konnte. So auch bei diesem Rentner aus München.

Alois G.: "Ich habe sie reingeführt und bin dann hier gestanden. Und sie ist hier gestanden und da habe ich ihr dann das Geld übergeben."
report MÜNCHEN: "Wieviel?"
Alois G.: "15.000 Euro."

Keine Fingerabdrücke, keine DNA. Das Telefon am Tatort ist die einzige Spur, die die Polizei verfolgen kann. Wer hat das Opfer angerufen? Wie lautete die Handynummer? Das sind hier die Schlüsselfragen. Deshalb setzen die Ermittler auf die so genannten Vorratsdaten der Provider. Diese speichern sechs Monate lang, wer, wie lange telefoniert hat – und vor allem, wer sich wo mit einem eingeschalteten Handy aufgehalten hat – etwa an einem Tatort. Den ganzen Datenberg bekommen nun Analysespezialisten. Und die stoßen immer wieder auf bereits polizeibekannte Straftäter.

Gerhard Frese, Polizei München, Analyse: "Wir werten die Datei dahingehend aus, ob eine oder mehrere Telefonnummern an einem oder mehreren Tatorten vorgekommen sind."

Hier markiert der Stadtplan drei Tatorte, jeder in einem anderen Funkzellengebiet. Und tatsächlich: der Computer spuckt eine Handynummer aus, die an allen Orten benutzt worden war. Auch hier konnte der Täter gefasst werden. Seit der Karlsruher Eilentscheidung ist das so weder beim Betrug möglich noch bei massiven Stalkingfällen oder Bombendrohungen.

Gisela Piltz, FDP, MdB: "Ich sag' mal, ich bin ja nicht dafür da, es der Polizei es in jedem Fall leicht zu machen."

Klaus Jansen, Bund Deutscher Kriminalbeamter: "Die Kollegen haben die Hände über dem Kopf zusammengeschlagen. Gerade im Bereich Allgemeinkriminalität, also das was die Bürger am meisten betrifft, werden wir handlungsunfähig sein. Sachverhalte, die wir vorher aufklären konnten, werden wir nicht mehr aufklären können. Also: Die Polizei stellt sich dümmer als sie sein müsste."

Vergewaltigung? Ein Verbrechen, das offensichtlich nicht schwer genug ist, um den Zugriff auf die Handydaten möglich zu machen. In einer Woche soll die Bundesregierung den Karlsruher Richtern berichten, wie die Polizei in der Praxis mit dieser absurden Regelung umgeht. Noch im Herbst will das Bundesverfassungsgericht dann seine endgültige Entscheidung über den Zugriff auf die gespeicherten Vorratsdaten bekanntgeben."

Quelle: http://www.br-online.de/das-erste/report-muenchen/report-datenschutz-datenspeicherung-ID1219653348808.xml



Meines Erachtens ist diese Entscheidung ein Skandal. Insbesondere die Äußerung der FDP-Politikerin Piltz könnte man schon eine nennenswerte Unverschämtheit nennen, um nicht metaphorisch zu sagen ein "Schlag ins Gesicht der Verbrechensopfer". Ein weiterer Grund in der ständig zunehmenden Reihe derer, die Anlass dazu bieten, dass die FDP ersetzt werden muss.

Scheinbar ist das nach hier vertretener Auffassung bereits ausgeuferte "Täterschutzprinzip", nun schon "mit Rückendeckung" von Richtern des Bundesverfassungsgerichts weiter auf dem Vormarsch. Daran kann auch die Begründung, Daten Unbeteiligter schützen zu wollen nichts ändern, denn dieser Schutz wäre durch eine abschließende Aufzählung schwerer Straftaten, in deren Zusammenhang dieser zu deren Aufklärung eingeschränkt werden dürfte in ausreichendem Maße zu gewährleisten. Ich denke kaum ein Bürger hätte irgendetwas dagegen, wenn mittels der kurzfristigen Durchsicht der Vorratsdatenspeicher, deren Löschung nach einiger Zeit ohnehin gesetzlich vorgeschrieben ist, schwere Straftaten aufgedeckt werden und so die Bürger vor weiteren Straftaten geschützt werden könnten, mit Ausnahme einiger Politiker natürlich, die scheinbar persönlich noch nicht ausreichend mit Verbrechen in Kontakt gekommen sind um die Sachlage realistisch einschätzen zu können ...
Selbstverständlich sind Unbeteiligte weitestgehend vor der "Ausspähung" und möglicherweise zweckentfremdeten Verwendung ihrer Daten auch oder gerade von Mitarbeitern öffentlicher Institutionen zu schützen, doch in Sonderfällen wie dem, dass es um die Aufklärung schwerer Verbrechen geht, sollte eine sicher erforderliche Abwägung zu Gunsten des Opferschutzes ausfallen, wobei noch jemand den Richtern der kritisierten Entscheidung beibringen müsste, dass Vergewaltigung ein schweres Verbrechen ist ...

Man kann nur hoffen, dass die Mitglieder des entscheidenden Senats des BVerfGs bei der abschließenden Entscheidung dieser Sache zur Besinnung finden und ein der Realität angemessenes Urteil sprechen werden.
Wir müssen die Veränderung sein, die wir in der Welt sehen wollen.

Mahatma (Mohandas Karamchand) Gandhi (Indischer Philosoph, Pazifist, Menschenrechtler, Rechtsanwalt und Staatsmann)
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