Bürger bald völlig schutzlos? - Weg in die Selbstjustiz?

Hier wird das Problem des zunehmend mangelhaften Schutzes der Bürger vor Gewalttaten und dessen verfassungsrechtliche Relevanz erörtert. (Artikel 1 Abs. 1 Satz 2 GG)

Re: Bürger bald völlig schutzlos? - Weg in die Selbstjustiz?

Beitragvon GasGerd » So 25. Dez 2011, 18:08

Die Geschichte mit dem Pistolen - Rambo in der Berliner U-Bahn war heute das Nr. 1 - Thema bei gmx. Ich habe zwei Beiträge dazu geschrieben, der zweite kam um 18:00 Uhr nicht mehr durch:

Na, das ist doch mal ein Foren - Grabenkrieg, in dem die Krieger auf beiden Seiten der Front ziemlich merkbefreit sind. Die eine Seite verharmlost das asoziale Pack, das in der U-Bahn friedliche Menschen terrorisiert, um den spinnerten Charles - Bronson - Verschnitt als Riesenbösewicht hinstellen zu können, die andere Seite diabolisiert das asoziale Pack, um den Spinner zum Helden zu ernennen.

Dass die notorische Nachlässigkeit und Pflichtvergessenheit der Verantwortlichen in der Politik und bei der Justiz sowohl das asoziale Gesindel hervorbringt bzw. ihm die Feiräume verschafft, sich als Herr der Straße aufzuspielen, als auch Rambo - Spinner erzeugt, die sich zum "heldenhaften" Straßenwart berufen fühlen, merkt anscheinend keiner.

Und alle wählen das pflichtvergessene Staatslumpenpack bei der nächsten Wahl erneut ...

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taschenleer

"Gerd154

Füße auf dem Sitz ist für Sie wenigstens nur asozial, für andere hier sind das die U-Bahnschläger von morgen.

Ich heiße deren Verhalten keinesfalls für richtig.

Aber man muss auch die Kirche im Dorf lassen. Und deshalb zur Waffe greifen, ist ein absolutes No-Go.

Dieser Rächer für die gesamten U-Bahn-Blockwarte hier ist für mich die eindeutig größere Bedrohung.

Wenn der Mann wirklich Courage beweisen hätte wollen, hätte er noch andere Fahrgäste dazugeholt und gemeinsam den 3 jungen Menschen ein paar klare Ansagen erteilt.

Und, übrigens, in Frankfurt ist U-Bahnfahren bestimmt auch nicht angenehmer als in Berlin.

Aber 3 angetrunkene junge Leute können doch nicht stellvertretend für alle Schläger an die Wand gestellt werden.

Bei der Diskussion sollte man eines nicht aus den Augen verliegen, viele U-Bahn-Schlägereien passieren vor vielen Passanten, die dann wegschauen und nichts gesehen haben wollen."

Habe ich mich so missverständlich ausgedrückt? Ich halte selbstverständlich weder das Verhalten des asozialen Packs als auch das des Rambo für völlig unakzeptabel.

Aber wer wie Du eine der beiden Verhaltensweisen maßlos beschönigt (angetrunkene junge Leute "stellvertretend" für Schläger", das sind natürlich Schläger, sonst hätten sie ganz sicher nicht provoziert), verstellt grob fahrlässig den Blick auf die wirklichen Verursacher des gesamten Gefahrenpotentials. Und das sind die Politiker, die demnächst wiedergewählt werden.


http://meinungen.gmx.net/forum-gmx/post/13931088?sp=441#jump
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Re: Bürger bald völlig schutzlos? - Weg in die Selbstjustiz?

Beitragvon AlexRE » Mo 9. Jan 2012, 22:00

Heute auf dem Forum unseres Teilnehmers Caloderma geschrieben:

Lotusviper hat geschrieben:
Bei Anruf Notwehr: In Oklahoma erschießt eine junge Witwe und Mutter aus Angst um ihr Leben einen Einbrecher – mit telefonischer Erlaubnis der Polizei.


Quelle: http://www.welt.de/vermischtes/weltgesc ... lizei.html

Boah, na das nenne ich doch mal echte Demokratie ! Von solchen Rechtsstaatlichen Mitteln können wir nur träumen. Hier in Germany muß man sich erst abschlachten lassen, bevor man sich wehren darf. Bei kriminalität in D schauen die meisten Menschen weg weil Straftäter mit Samthandschuhen angefasst werden.


http://globaltalk.siteboard.eu/f13t94-1 ... lizei.html

Das ist so nicht ganz zutreffend, der Bundesgerichtshof differenziert in dieser Frage. Informatikstudenten müssen sich abschlachten lassen:

http://www.spiegel.de/panorama/justiz/0 ... 28,00.html

Rocker aber nicht:

http://www.spiegel.de/panorama/justiz/0 ... 78,00.html

Das zeigt schon, dass wir hier in Deutschland kein Problem mit dem Notwehrrecht, sondern mit durchgedrehten Richtern haben.

Im Übrigen wird in dem von Dir verlinkten Artikel noch ein sehr interessanter und in Deutschland nur wenigen Leuten bekannter Gesichtspunkt angesprochen:

Aber wer sich beim parolenhaften „stand your ground“ gleich an waffenfanatische Amerikaner aus Michael-Moore-Filmen mit Gewehr im Anschlag erinnert fühlt, lässt außer Acht, dass in Deutschland die Pflicht zum Zurückweichen gar nicht erst existiert – im Strafgesetzbuch ist lediglich von Gebotenheit die Rede.

„Es ist das Mittel zu wählen“, sagt Jan Manshardt, „das sicher geeignet ist“. Von dem der Bedrohte annehmen kann, dass es den Zweck erfüllt, auch wenn die Verteidigung für den Angreifer tödlich ausgeht.


Das deutsche Notwehrrecht geht tatsächlich zu Gunsten des Verteidigers effektiv weiter als das amerikanische, hier wird zumindest vom Gesetz nie verlangt, dass man einem Aggressor - soweit ohne Risiko zumutbar - erst einmal ausweicht, in den USA schon, da gilt nur auf eigenem Grund und Boden, am eigenen Arbeitsplatz oder im eigenen Auto ein so offensives Notwehrrecht wie in Deutschland.

Was die Gerichte dann tatsächlich daraus machen, ist aber ein ganz anderes Paar Schuhe.
Der Stuttgarter OB Rommel:

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Re: Bürger bald völlig schutzlos? - Weg in die Selbstjustiz?

Beitragvon GasGerd » Mi 11. Apr 2012, 11:14

Künftig sollen selbst Lebenslängliche nach 5 Jahren den ersten Langzeitausgang bekommen:

"Der GdP-Vorsitzende Bernhard Witthaut sagte: "Ein sogenannter Langzeitausgang nach fünf Jahren Haft würde das Rechtsempfinden der Bürgerinnen und Bürger schwer erschüttern." Witthaut äußerte den Verdacht, dass die Überbelegung in vielen Gefängnissen und die Personalknappheit beim Justizvollzugspersonal ein Motiv für den Vorstoß sein könnten. "Aus Kostengründen darf die Bevölkerung aber keiner erhöhten Gefahr ausgesetzt werden.""

Auf den ersten Blick ergibt der Verdacht des GdP-Vorsitzenden, dass die Personalknappheit das Motiv für die verfrühten Langzeitausgänge sei, wenig Sinn. Gerade die Vorbereitung und Begleitung so eines Ausgangs nimmt das Personal einer JVA nämlich besonders in Anspruch.

Erst wenn man argwöhnt, dass hier eine politikertypische Salamitaktik angewandt wird, würde ein Schuh aus dem Personal- und Kostengesichtspunkt. Wenn man gute Erfahrungen mit Freigängen nach 5 statt 10 oder 12 Jahren machen würde, könnte das als Argument dafür dienen, die heutige Formel "Lebenslänglich = 15 - 20 Jahre" z. B. in "Lebenslänglich = 8 bis 12 Jahre" umzutaufen. Wenn das Etikett "Lebenslänglich" sowieso falsch ist, ist man ja frei in der (Um-) Gestaltung des Etikettenschwindels. So verkürzte Strafen für Mörder und andere Schwerstverbrecher würden dann tatsächlich Personal und Geld einsparen helfen.

Ich halte es aber für sehr unwahrscheinlich, dass dieses Experiment gutgehen wird. Die ersten Lebenslänglichen, die nach 5 Jahren einen Langzeitausgang bekämen, hätten dann ja noch mindestens 10 weitere Jahre Knast vor sich. Das wird mit einiger Sicherheit Anlass genug für eine Reihe dieser Verbrecher sein, die Gelegenheit zur Flucht zu nutzen.

Dafür könnten sie sogar bei einem relativ geringen zusätzlichen strafrechtlichen Risiko die begleitenden Beamten umbringen. Auf noch offene 10 - 15 Jahre Knast weitere 15 - 20 Jahre aufzuschlagen, würde in diesem unseren Lande natürlich gegen die Bestien - äähhh Menschenwürde verstoßen.


http://meinungen.gmx.net/forum-gmx/post ... p=203#jump
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Re: Bürger bald völlig schutzlos? - Weg in die Selbstjustiz?

Beitragvon maxikatze » Mi 11. Apr 2012, 13:36

Keinem Verbrecher würde ich Hafturlaub gewähren - keinem einzigen. Die kommen doch sowieso meistens früher raus und sitzen ihre Strafe nicht vollständig ab. Auch das würde ich unterbinden.
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Re: Bürger bald völlig schutzlos? - Weg in die Selbstjustiz?

Beitragvon Excubitor » Mi 11. Apr 2012, 15:42

An dem Vorschlag des Brandenburger Justizministers, selbst "Lebenslänglichen" bereits nach fünf Jahren Hafturlaub zu gewähren, zeigt sich wieder einmal, dass in politischen Kreisen die Sicherheit der Bevölkerung zum Teil keinerlei Bedeutung besitzt sondern wieder einmal pflichtwidrig Täterschutz vor Opferschutz gestellt wird, wie so oft in Deutschland. Ein untrüglicher Beleg dafür, dass es mit dem "Rechtsstaat" nicht besonders weit her sein kann, der meines Erachtens schon lange zum Mythos verkommen ist, wenn man dieses Forum einmal genauer liest.

Mehr zum aktuellen Sachstand des Themas unter
http://www.bild.de/news/inland/haeftlin ... .bild.html
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Re: Bürger bald völlig schutzlos? - Weg in die Selbstjustiz?

Beitragvon AlexRE » Do 12. Apr 2012, 14:56

Excubitor hat geschrieben:An dem Vorschlag des Brandenburger Justizministers, selbst "Lebenslänglichen" bereits nach fünf Jahren Hafturlaub zu gewähren, zeigt sich wieder einmal, dass in politischen Kreisen die Sicherheit der Bevölkerung zum Teil keinerlei Bedeutung besitzt sondern wieder einmal pflichtwidrig Täterschutz vor Opferschutz gestellt wird, wie so oft in Deutschland. Ein untrüglicher Beleg dafür, dass es mit dem "Rechtsstaat" nicht besonders weit her sein kann, der meines Erachtens schon lange zum Mythos verkommen ist, wenn man dieses Forum einmal genauer liest.

Mehr zum aktuellen Sachstand des Themas unter
http://www.bild.de/news/inland/haeftlin ... .bild.html


Aus den betreffenden politischen Kreisen kommt auf solche Vorhalte regelmäßig das Argument, dass milde Strafen, Bewährung, frühzeitiger Hafturlaub usw. usf. der Resozialisierung dienen und damit die Rückfallquoten mindern. Das aber sei von Bedeutung für die Sicherheit der Bevölkerung - von Pflichtwidrigkeit also aus der Sicht dieser Verantwortlichen keine Spur.

Wahrscheinlich trifft es sogar zu, dass die heutige Prioritätensetzung bei der Resozialisierung viele kriminelle Karrierien positiv beeinflusst bzw. beendet, die in früheren Zuchthaus - Zeiten ("wer einmal aus dem Blechnapf frisst") die gesamte Lebensspanne von Menschen eingenommen hätten, die einmal auf die schiefe Bahn gekommen waren.

Wenn aber das Abzielen auf größtmögliche Resozialisierungschancen von Kriminellen und potentiellen Kriminellen als Nachlässigkeit bzw. Schwäche des Staates wahrgenommen wird, kommt das Gegenteil des Angestrebten dabei heraus:

Der Migrationsbeauftragte von Berlin-Neukölln, Arnold Mengelkoch, berichtet auch von Drogengeschäften. Daran seien teilweise bereits Kinder im Alter von zwölf Jahren beteiligt. Mengelkoch selbst wurde nach eigenen Angaben mit einem Messer bedroht, als er junge Libanesen beim Drogendealen erwischte. Mengelkoch zufolge werden die Täter immer jünger. Kinder terrorisierten schon in der Schule ihre Mitschüler und Lehrer. Das Problem: Selbst wenn die Polizei einen Täter fasst und er zu Haft verurteilt wird, ist das nicht unbedingt eine Strafe für ihn. So erklärt die Mutter eines straffälligen 13-Jährigen, Haft mache Männer.


http://www.mdr.de/fakt/clans100.html

Solchen Kriminellen muss man erst einmal klarmachen, dass ein Leben in Legalität für sie irgendwelche Vorzüge gegenüber der geplanten kriminellen Karriere hat. Wenn das wegen der guten "Verdienst"möglichkeiten in kriminellen Milieus und wegen der geringen Strafen noch nicht einmal objektiv der Fall ist, wird aus einem ehemals vielleicht erfolgreichen Resozialisierungsansatz schlichtweg eine Verhöhnung aller rechtstreuen Bürger.
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Re: Bürger bald völlig schutzlos? - Weg in die Selbstjustiz?

Beitragvon GasGerd » Di 24. Apr 2012, 15:56

Jetzt ist der Rentner in Sittensen, der einen jugendlichen Räuber durch einen Schuss in den Rücken getötet hatte, nach der ursprünglichen Einstellung des Verfahrens wegen der Auffassung der StA, dass Notwehr vorgelegen habe, doch noch angeklagt worden:

http://www.bild.de/home/telegramm/home-telegramm/telegramm-15478948,textId=23820520,tabindex=0.bild.html
Kein Wunder, dass die hohen Herrschaften bei der Justiz ein Verwirrspiel aus dem Notwehrrecht gemacht haben. Die haben sich noch nicht endgültig entschieden, ob sie vom Notwehrrecht in Deutschland noch was übrig lassen oder es völlig in die Tonne gedrückt werden soll.


http://meinungen.gmx.net/forum-gmx/post/12189428?sp=119#jump
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Re: Bürger bald völlig schutzlos? - Weg in die Selbstjustiz?

Beitragvon AlexRE » Mi 25. Apr 2012, 14:13

Gerade auf politikarena.net geschrieben:

Countryjoe hat geschrieben:Anstatt sich in die extreme Lage des ehemaligen Opfers zu versetzen und einen Notwehrexzess geltend zu machen, wird nun aus dem sicheren(?) Gerichtssaal jede Sekunde des gesamten Vorfalls juristisch gegen den Rentner ausgewertet.


Ein Notwehrexzess ( = Überschreitung des Notwehrrechts ) ist strafbar und gerade das, was dem Rentner jetzt vorgeworfen wird. Anfangs hatte die StA ja behauptet, dass er sein Eigentumsrecht an seinen 2000 Euro, die der erschossene Jugendliche bei sich trug, durch den Todesschuss schützen durfte.

Was Du meinst, ist eine Strafbefreiung nach § 33 StGB wegen Überschreitung des Notwehrrechts aus Verwirrung oder Furcht. Diese Frage ist jetzt immer noch offen, es könnte durchaus sein, dass das Gericht einen Fall des § 33 annimmt.

Tatsache ist doch, daß jeder der in eine Situation kommt, in der Notwehr oder Nothilfe angebracht ist, zunächst einen Fachanwalt als Berater konsultieren sollte, um nicht verknackt zu werden. Denn der Justiz ist es doch lieber wenn sich einer widerstandslos totschlagen läßt. Die Täter kann man ja dann, je nach politischer Korrektheit wieder laufen lassen.


Wenn ein Millionär einen Jugendlichen erschießt, nur um 2000 Euro zu retten, hätte er sich eigentlich denken können, dass er deshalb Ärger bekommt. Dieser Fall ist also nicht gerade prototypisch für die echten Probleme, die wir mit der Entwicklung der Rechtsprechung zum Notwehrrecht in Deutschland haben. Die sind allerdings gravierend.

Ein bisheriger Tiefpunkt in dieser Entwicklung ist sicher das Urteil gegen den Münchener Informatikstudenten Sven G., besonders wenn man diese Entscheidung des 1. Senats des BGH mit der diametral entgegenstehenden Entscheidung des 2. Senats vergleicht, der einem Rocker noch nicht einmal einen Warnschuss zumuten wollte, obgleich die vermeintlichen Angreifer die Haustür noch gar nicht offenbekommen hatten.

Obwohl das einfach nur zwei falsche Entscheidungen sind - einmal eine klar bestehende Notwehrlage nicht erkannt und einmal eine ebenso klare Überschreitung des Notwehrrechts verkannt - haben die beiden Senate aus der Sicht des Normalbürgers totale Rechtsunsicherheit geschaffen und damit die schlimmstmögliche Fehlleistung abgeliefert, die einem Obergericht unterlaufen kann.

Das Urteil gegen den Informatikstudenten ist in der Fachwelt auch sehr scharf kritisiert worden, insbesondere von dem Strafrechtsexperten Prof. Erb:

GasGerd hat geschrieben:So, hier der versprochene Auszug aus Prof. Erbs Aufsatz. Leider mit einiger Verspätung, ich habe es nicht hinbekommen, aus einer PDF - Datei zu kopieren und musste die m. E. wesentlichen Aussagen abtippen:

Der entscheidende Gesichtspunkt, den der Verteidiger in seinem Plädoyer offenbar zutreffend angesprochen, das Gericht jedoch in seiner Urteilsbegründung völlig unterschlagen hat, ist aber die Erfahrung des Angreifers in körperlichen Auseinandersetzungen, über die dieser seinem Auftreten nach zu urteilen (so stellte es sich jedenfalls aus der Perspektive des Angeklagten dar, die man für die ex – ante – Beurteilung der Erforderlichkeit zugrunde legen muss). Wie eine gutachterliche Stellungnahme der Einsatztrainer der Polizeiakademie Hessen, die aufgrund deren besonderer Sachkunde in Fragen der Selbstverteidigung und in den Erfahrungswerten polizeilicher Praxis über den typischen Verlauf gewalttätiger Auseinandersetzungen vom Verfasser eingeholt wurde einhellig zum Ausdruck bringt (sich m. E. aber auch schon nach dem gesunden Menschenverstand förmlich aufdrängt), lässt dieser Umstand die Bedeutung von Größe, Gewicht und selbst Kraft von Kontrahenten für ihre Chancen, sich in der Auseinandersetzung erfolgreich zu behaupten, weitestgehend in den Hintergrund treten.

(…)

Wenn dabei so abwegige Spekulationen wie besagte Behauptung, ein übergewichtiges Gewaltopfer können gegen einen 5 cm kleineren, aber gut normalgewichtigen, hochaggressiven und mutmaßlich erfahrenen Schläger problemlos "sein überlegenes Körpergewicht" einsetzen, um diesen ohne Eingehung nennenswerter eigener Risiken "kraftvoll von sich zu stoßen und den Angriff auf diese Weise zu beenden," von einem Senat des BGH (und zuvor von einem Vertreter des GBA) als tragender Bestandteil angeblich, "rechtsfehlerfreier Tatsachenfeststellungen" akzeptiert werden, erscheint dies in höchstem Maße besorgniserregend. Für künftige Fälle bleibt die Hoffnung, dass der BGH Tendenzen bestimmter Untergerichte zur Aushöhlung des Notwehrrechts wieder in bewährter Form entgegentreten wird.


"Volker Erb
Zur Aushöhlung des Notwehrrechts durch lebensfremde tatrichterliche Unterstellungen
- Zugleich eine Besprechung von LG München I, Urt. v. 9. 1.2009 - 1 Ks 121 Js 10 459/08 ( "Fall Sven G." ) - NStZ 2011, 186-193"


viewtopic.php?f=7&t=91&start=80

P. S.

Hier ist Grundgesetz Aktiv die Originalquelle, der Aufsatz ist nämlich nicht im Netz veröffentlicht. Für den Auszug musste eine Teilnehmerin unseres Forums den Aufsatz in einer Bibliothek kopieren und ein anderer die Textpassagen abschreiben.
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Re: Bürger bald völlig schutzlos? - Weg in die Selbstjustiz?

Beitragvon GasGerd » So 29. Apr 2012, 14:10

Auf meinem alten gmx - thread zum Notwehrrecht wird seit ein paar Tagen auch wieder geschrieben:

"Ich finde dennoch, dass der alte Mann viel eher das Notwehrrecht überschritten hatte, als der Sven G. Vielleicht gibt es ja einen Senilen-Bonus, oder Rentnerbonus, dachten vielleicht der 77 Jährige wäre geistig schon nicht mehr fit?"

Der Fall des Rentners ist grenzwertig. Die Bedrohung von Leib und Leben war mit der Flucht der Täter beendet, so dass nur noch eine Notwehrhandlung zum Schutz seines Eigentumsrechts an den geraubten 2000 Euro in Betracht kommt. Ob da ein Todesschuss "geboten" im Sinne des Notwehr - § ist, wenn es sich bei dem Eigentümer um einen Millionär handelt, kann man rechtlich unterschiedlich beurteilen und begründen.

Das ist im Fall Sven G. ganz anders. Da lag eindeutig und indiskutabel Notwehr vor, wie Prof. Erb unumstößlich dargelegt hat. Wenn aber glasklare Notwehrlagen - aus welchen Motiven heraus auch immer - von der Justiz bis hin zum BGH verleugnet werden, macht sich dieser Staat zum Co - Aggressor an der Seite der Gewaltkriminellen, die die friedlichen Bürger terrorisieren. Das ist das schlimmstmögliche Staatsunrecht überhaupt. Dadurch kommen bedrohte oder bereits mit Gewalt überzogene Menschen in eine schlechtere Lage als in einem Dschungel bzw. einer anarchischen Gesellschaft, in der sich jeder selbst schützen muss und darf.


http://meinungen.gmx.net/forum-gmx/post/12189428?sp=133#jump
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Re: Bürger bald völlig schutzlos? - Weg in die Selbstjustiz?

Beitragvon AlexRE » So 29. Apr 2012, 19:14

Noch was von politikarena.net:

Beißer hat geschrieben:Nein. Es sei ja keineswegs fest, dass die Angreifer nicht noch einmal umdrehen und der Mann erneut attackieren würden. Da war es schon besser, sie zu erschießen, solange es noch eine Chance dazu gab.


Das wäre dann ein neuer Angriff auf seine Persönlichkeitsrechte (Leben / Gesundheit / Freiheit) gewesen. Den hätte er aber erst abwehren dürfen, wenn er begonnen hätte und damit gegenwärtig gewesen wäre.

Das kann man übrigens auch ohne Rechtskenntnisse durch logisches Nachdenken rauskriegen.

Außerdem hatte der Flüchtende das Geld des Mannes dabei – wäre er entkommen, der Mann hätte es niemals wiedergesehen. In einem solchen Fall ist ein Schuss absolut gerechtfertigt.


Privatpersonen (nicht staatliche Waffenträger!) dürfen tatsächlich prinzipiell auch ihr Eigentumsrecht mit tödlichen Verteidigungsmitteln wahren, wenn keine milderen Mittel zur Verfügung stehen. Das ist wegen des Begriffes "geboten" im § 32 StGB allerdings insoweit eingeschränkt, dass es sich bei dem zu schützenden Eigentum nicht um Bagatellwerte handeln darf, sonst ist ein Todesschuss auch unverhältnismäßig, wenn mildere Mittel nicht zur Verfügung stehen und man muss auf ein paar Euro oder ein paar vom Baum geklaute Kirschen verzichten. Bei Angriffen auf Leib und Leben findet keine Verhältnismäßigkeitsprüfung hinsichtlich der Rechtsgüter des Angreifers statt, da kommt es nur darauf an, dass kein milderes Mittel zur Verfügung stand.

Im Fall des Sittenser Rentnters vermute ich mal, dass sich die Verantwortlichen nicht ganz schlüssig waren, ob sie die 2000 Euro eines Millionärs als Bagatellbetrag werten sollten oder nicht. Der Staatsanwalt, der das Verfahren zunächst eingestellt hatte, hat das offensichtlich nicht getan und jetzt deutet die verspätete Anklage darauf hin, dass doch eine Relation zwischen der Höhe des verteidigten Betrages und den Vermögensverhältnissen des Verteidigers hergestellt werden soll, um das Tatbestandsmerkmal "geboten" zu definieren.

Als Fußnote bemerkt: Ich halte jede Erstanwendung einer neuen Definition eines unbestimmten Begriffes in der Funktion eines Tatbestandsmerkmals einer Strafnorm zu Lasten des Angeklagten für verfassungsrechtlich hochproblematisch. Das beißt sich mit dem "besonderen Bestimmtheitsgebot" bzw. Rückwirkungsverbot des Art. 103 Abs. 2 GG (auch Art 7 EMRK). Aber das ist ein Kapitel für sich und ein sehr weites Feld.
Der Stuttgarter OB Rommel:

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