Jede Sperrklausel ist ein Eingriff in die Verfassungsrechtsgüter "Wahlrechtsgleichheit" und "Chancengleichheit der politischen Parteien", der nur in Abwägung mit einem höherrangigen Interesse wie der Wahrung der Funktionsfähigkeit des Parlaments legal sein kann. Eine solche Notwendigkeit hat das BVerfG hier nicht gesehen:
(...)
4. Nach diesen Maßstäben ist die Drei-Prozent-Sperrklausel (§ 2 Abs. 7
EuWG) mit Art. 3 Abs. 1 und Art. 21 Abs. 1 GG unvereinbar. Der Senat hat
im Urteil vom 9. November 2011 festgestellt, dass die bei der Europawahl
2009 gegebenen und fortbestehenden tatsächlichen und rechtlichen
Verhältnisse keine hinreichenden Gründe bieten, die den mit der
Fünf-Prozent-Sperrklausel verbundenen schwerwiegenden Eingriff in die
Grundsätze der Wahlrechtsgleichheit und Chancengleichheit der
politischen Parteien rechtfertigen. Eine maßgebliche Veränderung der
tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse ist seither nicht
eingetreten. Die Drei-Prozent-Sperrklausel findet keine Rechtfertigung
im Hinblick auf zu erwartende politische und institutionelle
Entwicklungen und damit verbundene Änderungen der Funktionsbedingungen
des Europäischen Parlaments in der nächsten Wahlperiode.
(...)
https://www.bundesverfassungsgericht.de/pressemitteilungen/bvg14-014.htmlIn der Rechtsprechung zur 5 % - Hürde in Deutschland hat das BVerfG die gegenteilige Interessenabwägung vorgenommen, aber dabei betont, dass eine Änderung der politischen Verhältnisse in Deutschland in der Zukunft eine neue Interessenabwägung erforderlich machen könnte, nach der dann die 5 % - Hürde möglicherweise verfassungswidrig wäre:
Rechtsprechung
Das Bundesverfassungsgericht erklärte 1990 die Fünf-Prozent-Sperrklausel auf Bundesebene in seiner bisherigen Rechtsprechung grundsätzlich für verfassungsgemäß, da es ein funktionsfähiges Parlament als ein höheres Gut ansah als die exakte Widerspiegelung des politischen Willens der Wähler. Es betont dabei aber, dass „die Vereinbarkeit einer Sperrklausel mit dem Grundsatz der Gleichheit der Wahl nicht ein für allemal abstrakt beurteilt werden kann“; die aktuellen Verhältnisse seien also zu berücksichtigen.[23] Bei Kommunalwahlen wurde die Fünf-Prozent-Hürde von einigen Verfassungsgerichten der Länder dagegen für unzulässig bzw. überprüfungspflichtig erklärt. Bereits kurz nach Gründung der Bundesrepublik Deutschland wurde vom Bundesverfassungsgericht eine Sperrklausel von 7,5 % in Schleswig-Holstein für verfassungswidrig erklärt.[24]
http://de.wikipedia.org/wiki/F%C3%BCnf-Prozent-H%C3%BCrde_in_DeutschlandDabei ist daran zu erinnern, dass die 5 % - Hürde in Deutschland seinerzeit auch im Lichte der Weimarer Erfahrungen mit dem maximalen parlamentarischen Arschlochfaktor beschlossen wurde:
Goebbels in einem Leitartikel des Völkischen Beobachter am 30. April 1928:
Wir gehen in den Reichstag hinein, um uns im Waffenarsenal der Demokratie mit deren eigenen Waffen zu versorgen. Wir werden Reichstagsabgeordnete, um die Weimarer Gesinnung mit ihrer eigenen Unterstützung lahmzulegen. Wenn die Demokratie so dumm ist, uns für diesen Bärendienst Freifahrkarten und Diäten zu geben, so ist das ihre eigene Sache. Uns ist jedes gesetzliche Mittel recht, den Zustand von heute zu revolutionieren.
(...)
http://www.wissen.de/lexikon/goebbels-josephNachdem die ehemaligen Linksradikalen ohnehin bei Wahlen regelmäßig mehr als 5 % der Stimmen erzielen und außerdem zu einer demokratischen Partei mutiert sind, die nicht einmal mehr Anlass zur Beobachtung durch den Verfassungsschutz liefert, würde m. M. n. spätestens nach einem NPD - Verbot die Gravität der für die Verfassungslegalität der 5 % - Hürde nötigen hochrangigen Staatsinteressen gegen Null laufen.
Hinsichtlich derjenigen Kleinparteien, die weder rechts- noch linksradikal sind, besteht im Sinne des Demokratie- und Rechtsstaatsprinzips nicht nur kein wichtiges Staatsinteresse an deren Bann aus den Parlamenten, sondern es besteht im Gegenteil in diesem Sinne ein besonders hohes Interesse daran, dass Demokraten, die sich von dem Parteien - Establishment distanziert und neue Parteien gegründet haben, die für ihre Distanzierung maßgeblichen politischen Gesichtspunkte in den parlamentarischen Alltag einbringen können.
Die Gründe, aus denen verärgerte Demokraten neue Parteien aus dem Parteien - Establishment ausgründen, sind nämlich dieselben Gründe, aus denen viele Wahlberechtigte zu Nichtwählern werden. Die etablierten Berufspolitiker mittels einer 5 % - Hürde vor Belästigungen durch parlamentarische Redebeiträge von Kleinparteilern, die verärgerte ehemalige Wähler des Berufspolitiker - Establishments vertreten, zu bewahren, ist sicherlich in mancherlei Interesse.
Aber kein einziges dieser Interessen ist ein staatliches Interesse der Verfassungsdemokratie namens Bundesrepublik Deutschland. Die schwarz/gelb/rot/grünen Berufspolitiker sind nämlich nicht dieser Staat, auch wenn den meisten von ihnen die Einsicht in diese Tatsache irgendwann abhanden gekommen ist.