ZEIT ONLINE - "Coronavirus-Strategie: Forscher legen Szenario für den Weg aus der Corona-Krise vor""Erstmals äußern sich die größten Forschungsorganisationen einstimmig: Gegen das Virus helfe nur Eindämmung und wenige Neuinfektionen. Das hieße weiterhin Einschränkungen.
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In einer gemeinsamen Stellungnahme sprechen sich Wissenschaftler der vier größten deutschen Forschungsorganisationen dafür aus, die Corona-Epidemie konsequent einzudämmen. Es sei möglich, die Zahl der Neuinfektionen innerhalb von Wochen so weit zurückzudrängen, dass die umfangreichen Kontaktbeschränkungen durch eine Nachverfolgung einzelner Infizierter ersetzt werden könnten.
Eine der grundsätzlichen Schlussfolgerungen der Wissenschaftler:
Es sei sinnvoll, Kontaktbeschränkungen jetzt noch weiter durchzuhalten, um anschließend nachhaltiger lockern zu können. Andernfalls drohe eine neue Infektionswelle, die die bisherigen Erfolge zunichte machen und viele Menschenleben gefährden könnte. Ziel müsse es sein, sagen die Forscherinnen und Forscher, Verständnis in der Bevölkerung zu stärken, dass diese Krise eine langfristige sei und sie noch viele Wochen und Monate anhalten dürfte.Die Reproduktionszahl R nähert sich wieder einem kritischen Wert an
Die Forscherinnen und Forscher halten deshalb in der jetzigen Phase der Pandemie zwei Parameter für entscheidend: die effektive Reproduktionszahl R, die angibt, wie viele andere Menschen ein Infizierter im Durchschnitt ansteckt, sowie die Anzahl der Neuinfektionen pro Tag. R liege in Deutschland seit Ende März unter dem wichtigen Wert von eins, schreiben sie. Neue Daten zeigten allerdings, dass R sich dem Wert von eins wieder annähert. Das geht auch aus aktuellen Schätzungen des Robert Koch-Instituts hervor. Ursache könne nach den Modellen der Effekt der Osterfeiertage sein, als manche Menschen möglicherweise mehr Kontakte zu anderen hatten als derzeit erlaubt. Bei einem Wert über eins würde sich Sars-CoV-2 erneut exponentiell ausbreiten und schließlich das Gesundheitssystem überlasten.
Und das, obwohl die Zahl der Neuinfektionen aktuell zurückgeht. Dies wiederum sei der gemeinsame Effekt der Maßnahmen, die die Politik im März schrittweise eingeführt hatte: das Verbot großer Versammlungen, Schließung von Schulen und Läden sowie die Kontaktbeschränkungen.
"Wie die einzelnen Maßnahmen genau gewirkt haben, können wir zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht bewerten", sagte Viola Priesemann vom Max-Planck-Institut für Dynamik und Selbstorganisation, eine der vier Autorinnen und Autoren der Stellungnahme, ZEIT ONLINE. Ebenfalls lasse sich erst in der zweiten Maiwoche bewerten, wie sich die Fallzahlen aufgrund der Lockerungen ab dem 20. April geändert haben.[...]
Das siebenseitige Papier mit dem Titel Adaptive Strategien zur Eindämmung der Covid-19-Pandemie basiert auf dem Austausch der Forschungsteams darüber, wie sich die Epidemie weiter entwickeln könnte. Dazu haben die Wissenschaftler unterschiedliche mathematische Modelle unabhängig voneinander entwickelt. "Trotz der verschiedenen Ansätze sind wir zu übereinstimmenden Ergebnissen gekommen,[...].
Auf Basis ihrer Modellrechnungen bewerten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler drei verschiedene Szenarien:-
Eine Vernichtung des Virus oder eine zügige Durchseuchung seien nicht praktikabel. Den Erreger auszurotten, sei nur international koordiniert und unter großer Anstrengung möglich. Eine schnelle Durchseuchung hingegen würde bedeuten, dass das Gesundheitssystem massiv überlastet würde, nicht genügend Intensivbehandlungsplätze zur Verfügung ständen und viele Menschen sterben müssten. "Keines der beiden Szenarien stellt eine gangbare Option dar", schreiben sie.
- Um eine
kontrollierte Durchseuchung zu erreichen, müssten sich so viele Menschen mit Sars-CoV-2 infizieren, wie es die Kapazität des Gesundheitssystems zulässt. Selbst wenn die Dunkelziffer optimistisch geschätzt wird, würde sich dies über Jahre hinziehen und auch hierbei würden viele Menschen sterben. Während der gesamten Zeit müssten zudem harte Einschränkungen beibehalten werden, damit R um eins bleibt. Die verzögerte Beobachtung der Reproduktionszahl und der Zahl der Neuinfektionen mache rechtzeitige Korrekturen der Maßnahmen sehr schwierig. Ständig bestünde das Risiko, das Gesundheitssystem zu überlasten. "Diese Strategie macht vielleicht kurzfristige Lockerungen möglich, aber langfristig führt sie zu keinem Ziel", sagt Priesemann. Zumal es Hinweise gebe, dass eine Infektion mit dem neuen Coronavirus nicht nur die Lunge, sondern auch Herz, Niere, Verdauungstrakt und Gehirn schädigen könne und so Infizierte langfristige Schäden erleiden könnten, selbst wenn sie eine Infektion überlebten. Weiterhin sei nicht bekannt, wie lange Menschen nach durchgemachter Infektion immun sind. All das mache auch dieses Szenario unrealistisch.
- Die aus epidemiologischer Sicht derzeit einzig sinnvolle Strategie sei die konsequente Eindämmung des Virus. Durch weitere Maßnahmen sei es möglich, die Zahl der Neuinfektionen innerhalb von Wochen so stark zu senken, dass einzelne Infektionsketten unterbrochen werden könnten. Je kleiner R, desto schneller könne dies erreicht werden.Und diese Strategie könne immer noch gelingen, da die Fallzahlen in den vergangenen Wochen stetig zurückgegangen seien. [...]
In einer ersten Phase müssen die Kontaktverbote – soweit tragbar – beibehalten werden und gleichzeitig Kapazitäten zum Testen und Nachverfolgen einzelner Infizierter und Personen in ihrem direkten Umfeld weiter ausgebaut werden. Wenn die Neuinfektionen dann so weit zurückgegangen sind, dass einzelne Fälle dadurch kontrolliert werden können, könnten Kontaktbeschränkungen in einer zweiten Phase nach und nach wegfallen. Sie müssten dann nur noch bei Bedarf – also adaptiv – eingesetzt werden, um zu verhindern, dass die Neuinfektionen wieder ansteigen. Diese Maßnahmen könnten auch lokal und regional unterschiedlich notwendig sein.
Auf welche Zahl die Neuinfektionen sinken müssten, legen die Forscherinnen und Forscher in ihrem Papier nicht fest. "Wünschenswert wäre eine Größenordnung von etwa 100 neuen Fällen pro Tag", sagt Schöbel. Wie schnell man das erreichen kann, hängt vor allem davon ab, welche Beschränkungen gelten und wie sich Bürgerinnen und Bürger daran halten.
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Unabhängig von konkreten Zahlen geht es den Wissenschaftlern aber vor allem darum, eine Lage zu erreichen, in der Infektionsketten unterbrochen werden können. Dafür könnten zusätzliches Personal in den Gesundheitsämtern sowie die Einführung von freiwilligen Apps hilfreich sein. Außerdem könne ein Frühwarnsystem helfen, versteckte Infektionen zu finden. Die Forscher schlagen gezielte Querschnittstests in Bereichen mit erhöhtem Infektionsrisiko vor, zum Beispiel in Alten- und Pflegeeinrichtungen. Um zu verhindern, dass unerkannt Infizierte andere Menschen anstecken, seien zudem hygienische Maßnahmen wichtig, zum Beispiel Mundschutz in Geschäften oder auf öffentlichen Plätzen sowie Desinfektionsstationen. "Der Erfolg der Strategie wird sehr davon abhängen, wie stark die Menschen sich an Hygienemaßnahmen halten", sagt Pigeot. "Um diese Krise gut zu überstehen, brauchen wir einen Kulturwandel." Das sagt auch Michael Meyer-Hermann: "Wir müssen Strukturen schaffen, damit es in der Gesellschaft zur Normalität wird, Hygienestandards zu wahren, aufeinander Rücksicht zu nehmen und sich regelmäßig testen zu lassen." Sobald die Forschung neue Erkenntnisse liefere, müsse die Strategie natürlich angepasst werden. Auch, wenn ein Impfstoff bereitstehen sollte. Wann das der Fall sei und wie wirksam dieser dann ist, sei allerdings noch mit vielen Fragezeichen behaftet, sagt Priesemann. Deshalb sollte man nun absolut vorsichtig sein mit Lockerungen: "Wenn man die Möglichkeit hat, die Fallzahlen zu senken, dann scheint uns das auf Monate die sinnvollste Strategie zu sein."
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Mehr dazu in der Quelle:https://www.msn.com/de-de/nachrichten/c ... li=BBqg6Q9Kommentar
Zunächst sollte man sich mal folgendes im Kalender rot anstreichen: Es besteht Einigkeit. Gelobt sei wer oder was auch immer ... Das hat es in dieser Form auch noch nicht gegeben.
Bei der vorgestellten Strategie handelt es sich auf jeden Fall um ein gut durchdachtes Konzept, das grundsätzlich auch durchführbar erscheint, wenn es da nicht die Unbekannte Mensch gäbe. Das Ganze funktioniert, wie die Wissenschaftler immer wieder hervorheben, nämlich nur, wenn sich die absolut überwiegende Mehrheit der Bevölkerung über einen längeren Zeitraum an sämtliche Sicherheitsvorgaben hält, so dass das Ganze quasi zum Normalfall adaptiert wird, sich an Sicherheits- und Hygiene-Standards zu halten. Und da sehe ich als Realist etwas schwarz, auch wenn ich, wie die meisten anderen ebenfalls, das Gegenteil hoffe. Das dürfte das Hauptproblem werden, angesichts der bereits massiven Ausfälle auf dem Sektor, nur weil ein wenig die Sonne geschienen hat. Das Problem dürfte sich in dem Moment sogar noch weiter verschärfen, wenn tatsächlich ein möglicher saisonaler Effekt eintritt und während des Sommers ein Abflauen der Virus-Aktivität stattfinden sollte. Es wird darauf ankommen, dass man der Bevölkerung begreiflich machen kann, dass das eben kein Grund ist zu glauben, es wäre schon alles vorbei. Das hat man 1918 nach der ersten Welle der Spanischen Grippe auch geglaubt, während dann durch die zweite Welle alles "niedergemetzelt" worden ist. Wie schon Virologe Drosten betont hat, heute sollten wir es besser wissen wie es laufen kann.
Was wir alle jetzt brauchen ist schlicht Geduld und Disziplin. Je mehr von Letzterem, desto schneller wird es möglich sein, wieder einigermaßen normal leben zu können ...
Bleiben Sie gesund