FAZ.net (+) - "DEUTSCHE UKRAINE-KÄMPFER: Nach dem Gefecht zittern sie und übergeben sich""[...]
Sie schießen, bis alle Russen tot sindSie sind zu viert gewesen, vier Deutsche aus Sachsen, auf einer Patrouille wohl im Nordwesten von Kiew, als sie in der Ferne
eine „Feindgruppe“ sehen, wie Janni das nennt. Ein Truppenkonvoi der Russen. Sie bereiten einen Hinterhalt vor, legen eine
Sprengfalle. Als der Konvoi passiert, geht die Ladung hoch, und der Truppentransporter kann nicht mehr fahren. Die Falle
schnappt zu. Die Deutschen schießen mit ihren Gewehren aus rund sechzig Meter Entfernung, bis alle „zehn“ Russen tot sind,
wie Andrei sagt, oder „zehn bis elf“, wie Janni sagt. Es ist vielleicht das erste Mal seit dem Zweiten Weltkrieg, dass deutsche
auf russische Soldaten schießen, noch dazu in der Ukraine, wie damals.
Andrei will nicht gleich sagen, dass die Russen tot sind. „Kein Kommentar dazu“, schreibt er. „Keiner möchte sich gegebenenfalls
durch etwas strafbar machen.“ Dann: „Die Soldaten machen jetzt ein längeres Schläfchen. So makaber es klingen mag.“ Die
Stimmung nach dem Gefecht ist erst erleichtert, dann bestürzt, es ist ein verstörender Zwiespalt. „Bei vielen war danach
Schweigen angesagt“, sagt Andrei. „Man ist froh, es überstanden zu haben. Später setzte bei dem einen oder anderen das Denken
ein, und manche haben sich auch übergeben oder haben gezittert. Alles menschlich und normal.“ Janni sagt: „Jeder steckt so was
anders weg. Ist halt nie ein schöner Anblick.“ Er schickt Fotos von zerfetzten Leichen, die aber nicht von diesem Gefecht stammen.
Man sieht Kämpfer, deren Leiber aufgerissen sind, bei einem fehlt der Kopf. Janni sammelt solche Fotos auf seinem Handy. Von
ihnen geht ein seltsamer Sog aus, man möchte wegschauen, schaut aber doch hin.
Ob sie es bereuen, in der Ukraine zu sein? „Hm, die Frage ist berechtigt“, sagt Andrei. „Da kann ich sagen: Nein. Bereut man, dass
man einige Dinge tun muss, die nicht der Normalität entsprechen? Ja, definitiv.“
Bei Janni klingen Zweifel durch. Seine Motivation ist idealistisch, er will Leben retten. Und wenn sein Einsatz in der Ukraine auch nur
ein Leben rettet, dann hat sich für ihn alles gelohnt. Ich frage, ob er schon jemanden gerettet hat, zum Beispiel, indem er den Konvoi
aufgehalten habe? „Kommt drauf an, wie man Retten definiert. Ist es eine Rettung, anderen das Leben zu nehmen? Macht einen eher
zum Mörder als zum Retter.“ Ich sage: Vielleicht wurden Leute gerettet, weil die Russen nicht weiterfahren und Ukrainer töten konnten.
„Genau, vielleicht“, sagt Janni. „Aber vielleicht waren es auch anständige Menschen, mit denen man unter anderen Umständen etwas
zusammen getrunken hätte.“ Janni war schon in Auslandseinsätzen, aber er klingt nicht so, als könne er sich an das hier gewöhnen:
„Krieg ist nie gesund, und für den Kopf ist es erst recht nicht gesund.“[...]"
Siehe sehr ausführlich dazu die Quelle:https://www.faz.net/aktuell/ukraine-kon ... 8SpbRuqttrKommentar
Als "Nachbetrachtung" und zum Verarbeitungsprozess der Psyche gehörend sind bei den meisten Betroffenen Gedanken wie die im letzten
Absatz des zitierten Berichts angeführten völlig normal. Der innere Zwiespalt zwischen Helfen-Wollen und moralischem Zweifel muss ja
irgendwie im Inneren verarbeitet werden. Befindet man sich aber noch auf dem Kriegsschauplatz sollten derartige Gedankengänge jedoch
nicht zu sehr in Grübelei ausarten. Denn dann wird es für einen selbst sehr schnell gefährlich. In der nächsten direkten Konfrontation mit
Feindberührung könnte man genau wegen solcher Gedanken auch nur einen Moment zu lange zögern, und dann ist man selbst das Opfer.
Ein weiterer schwerwiegender Punkt innerer Konflikte ist der, dass im Zusammenhang mit dem Extremstress der im Krieg immer wieder
aufkommenden Situationen der beschriebenen Art eben wegen des damit verbundenen "Dauerdrucks" kein ausreichender Verarbeitungsprozess
stattfinden kann. Schon befindet man sich auf dem direkten Weg zu einer PTBS (Posttraumatische Belastungsstörung; engl. PTSD, posttraumatic
stress desease), die viele Soldaten aus einem Krieg mitbringen und von der auch viele Zivilisten, die während Bombardierungen in Bunkern
oder anderen Schutzräumen ausharren müssen neben akuten Belastungsstörungen (laienhaft Nervenzusammenbruch) betroffen sein können.
Krieg ist ganz sicher nicht gesund, schon gar nicht für die Psyche eines Menschen.