Dieses Thema habe ich heute auf dem Portal Bürgermeinungen eröffnet:
Wie viele andere kämpfe ich als Selbstständige um meine Existenz. Dies habe ich nie verschwiegen und nie beschönigt. Es gibt bessere und schlechtere Zeiten. Immer wieder suche ich nach Perspektiven und neuen Möglichkeiten, aber ich habe es bisher für legitim gehalten, nicht scheitern zu wollen und selbstständig bleiben zu wollen.
In den letzten Monaten habe ich viele Gespräche geführt mit Personen, die mir wichtig und wertvoll sind, aber gerade bei einem Gesprächspartner habe ich zunehmend den Eindruck gewonnen, dass es mir als mangelnde Solidarität ausgelegt wird, einfach nicht scheitern zu wollen. Da wird öffentliches Zelebrieren von Gescheitertsein zur Ehrlichkeit, nicht öffentlich geführter Kampf um die eigene Existenz zur Lüge und Unwahrhaftigkeit und wohl auch zu mangelhafter Solidarität.
Ich sehe mich mit einer Vorstellung konfrontiert, die mich zunehmend runter zieht, und das nicht nur, weil idie Zeit für die mir so wichtigen Gespräche, die sich nach Stunden inzwischen im
mittleren dreistelligen Bereich bewegt, anderswo fehlt. Gespräche und Gesprächspartner waren und sind mir wichtig, aber ich fühle mich zunehmend in eine pessimistische und hoffnungslose Grundstimmung runter gezogen, die ich so nicht kannte, und die nichts damit zu tun hat, dass ich ein Leid und ein Unglück bei anderen sehe, dass ich bisher nicht kannte. Das Leid und das Unglück kannte ich, aber nicht diese Hoffnungslosigkeit, - dieses sich schuldig fühlen müssen, weil man noch Hoffnung hat und haben will.
Ich sehe mich als unsolidarisch abgestempelt, weil ich meine Probleme nicht öffentlich, sondern mit Vertrauten, mit Freunden, führen möchte – aber nicht solchen, die meine Probleme sozusagen anonym mit verfälschten Interpretationen in ihre eigenen Konstrukte einbauen und mir dann von diesen Gesprächen erzählen.
Ich bin verdächtig, weil ich einfach nicht scheitern möchte. Ich möchte nicht scheitern: ich möchte im Rahmen meiner Möglichkeiten weiter – so gut es geht – den Weg gehen, den ich bisher gegangen bin, meist gradlinig, mit manchen Fehlern, Irr- und Umwegen, manchmal traurig, manchmal desillusioniert, aber immer noch mit der Hoffnung auf eine bessere Welt, und im Rahmen meiner Möglichkeiten bereit, dafür zu kämpfen, aber nicht bereit, das was ich noch habe, aufzugeben, um in den Augen von Menschen, die mich – wohl unabsichtlich – zunehmend runterziehen, glaub- und vertrauenswürdig sein zu können. Nein, diese Glaubwürdigkeit will ich nicht. Der Preis ist mir zu hoch.
Eine Theorie, wonach sich dann, wenn viele ihr Scheitern zugeben und öffentlich zelebrieren, etwas ändern muss, die Gesellschaft umdenken muss, wird nach meinem Gefühl praktisch nicht funktionieren. Ich betreue eine Frau, die wütend ist, wenn ich ihre Probleme löse – z.B. die Bank dazu bringe, die Kontoüberziehung auszubuchen - , weil sie der Meinung ist, je größer die Katastrophe ist, desto größer ist die Glaubwürdigkeit ihrer Schilderungen. Sie gilt als geschäftsunfähig und schizophren. Wer ihre Schriftstücke und die Kopien, die sie zum Nachweis ihrer Ansprüche fertigt, gesehen hat, braucht die Diagnose nicht zu lesen, um das zu wissen. Selbst wenn 10 Prozent der erwerbsfähigen Bevölkerung ihr Scheitern öffentlich machen, werden die übrigen 90 % bestenfalls darüber nachdenken, wie man die Gescheiterten am besten verwahrt und wohin man sie abschiebt. Nicht einmal diese Quote werden wir aber in absehbarer Zeit erreichen.
Meine Hoffnung war und ist ein Selbsthilfeprojekt, bei dem sich alle nach besten Kräften gegenseitig unterstützen, in dem sich Gleichgesinnte finden können, die Mehrgenerationen-Wohnprojekte oder andere Projekte verwirklichen können, wo bei Krankheiten geholfen wird, Einsame zusammenfinden, über bestehende Rechte aufgeklärt wird, Initiativen entwickelt werden (das Projekt „Ausschreibungen“ finde ich z.B. sehr gut), wo die bisher in vielen Foren verstreuten Informationen zu wichtigen Themen im Rahmen einer Datei nach Schlagworten umfassend zugreifbar werden, usw. usw. Wenn sich nicht einmal diese Solidarität herstellen lässt – wie soll es dann zwischen den Ausgregrenzten und den Ausgrenzern funktionieren? Diese Hoffnung muss ich jetzt erst mal wieder auf Eis liegen.
Und wie soll es gehen, wenn man die Kooperationsbereiten erst psychisch demontieren und zu sich runterziehen muss? Bevor die Vormundschaft für Erwachsene durch die Betreuung ersetzt wurde, war es üblich, die Leute erst mal in ihrer Geschäftsfähigkeit zu beschneiden. Faktisch ist Betreuung vielfach immer noch herabwürdigend, auch ohne diesen deklaratorischen Akt.
Möglicherweise liegt es in der menschlichen Natur, Menschen erst mal für die eigenen Ziele und die eigenen Vorstellungen passend machen zu wollen – koste es, was es wolle.