Direkte Demokratie

Soll die neue Verfassung Volksabstimmungen nach bekanntem Muster vorsehen oder muss man über neue, auf die Bundesrepublik zugeschnittene Modelle nachdenken?

Re: Direkte Demokratie

Beitragvon Uel » Mi 21. Jul 2010, 01:38

...ich nehme DJ's Bedenken auf: Da gerade die Schulpolitik bei uns seit 30-40 Jahren ein vermientes Propagandafeld ist und die Ideologen das größte Wort führen, so bin ich da so vorsichtig, dass ich noch zu keiner Meinung gefunden habe. Denn ich glaube, beide Systeme können Vorteile haben.

Ich gehöre zum letzten Jahrgang in NRW, der noch eine regelrechte Aufnahmeprüfung über 3 Tage für den Übergang ins Gymnasium machen musste, allerdings konnte man Wählen, ob nach dem 4. oder 5. Schuljahr. Meine Eltern wählten das 5. Schuljahr, es war ein Segen für mich und einige weitere Klassenkameraden, denn über Nacht waren wir die Besten, für meine Entwicklung war kein Jahr so gut wie dieses. Was also dagegen spräche, dass die Besten bis zum 6. Schuljahr die Entwicklung der Schüler "aus der 2. und 3. Reihe" behindern.

Sinn macht das Ganze für mich nur, wenn die Lehrpersonen das Lehrpensum für die gesamte Klasse nicht mehr sicherstellen können, aus welchen Gründen auch immer, und die besten Schüler als Hilfsassistenten benötigen werden, um die Aufgabe doch noch stemmen zu können. Und sei es nur , dass sie durch ihr einfaches Dasein das zahlenmäßige Gewicht von assozialen Störern mindern.

Aber dann sollte man doch lieber Praktikanten, Psychologen, Sozialtherapeuten oder "Assistenzlehrer" abstellen, als Kindern durch Kinderarbeit 2 Jahre zu stehlen. Dann kommt immer noch das Argument "soziale Kompetenz" auf. Aber überfordert man damit nicht Kinder, mit Problemen vor denen oft selbst Lehrer kapitulieren?
Diese sollte man den Leuten lieber über Wehr- oder Ersatzdienst nahebringen in Bundeswehr, Rote Kreuz, Technische Hilfswerk, Entwicklungsdienste, Dienste in Krankenhäusern und Altenheimen. Da können die dann inzwischen Volljährigen erstmals auch reale Verantwortung erfahren und üben. Sowas soll ja auch die Entwicklung wesentlich weiter bringen können.

Das Argument mit der verfassungsrechtlichen Beeinträchtigung ihres Rechtes auf Bildung halte ich nicht für zu Ende gedacht. Wenn es da nicht um einen relativen (den das eine wie das andere System erfüllen kann) sondern um einen absoluten Anspruch gehen sollte, dann könnten wir, wenn wir das auf andere Bereiche wie z. B. das Gesundheitswesen übersetzen, gleich den allgemeinen finanziellen Zusammenbruch entgegen sehen.

In der Technik hat man das Problem mit den Begriffen "allgemein anerkannte Regeln der Technik" und "Stand der Technik" versucht zu lösen.
Liebe Grüße
von Uel

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Re: Direkte Demokratie

Beitragvon AlexRE » Mi 21. Jul 2010, 13:37

Uel hat geschrieben:Das Argument mit der verfassungsrechtlichen Beeinträchtigung ihres Rechtes auf Bildung halte ich nicht für zu Ende gedacht. Wenn es da nicht um einen relativen (den das eine wie das andere System erfüllen kann) sondern um einen absoluten Anspruch gehen sollte, dann könnten wir, wenn wir das auf andere Bereiche wie z. B. das Gesundheitswesen übersetzen, gleich den allgemeinen finanziellen Zusammenbruch entgegen sehen.


Das habe ich mir nicht allein ausgedacht, die mangelnde Chancengleichheit in Deutschland ist schon seit langer Zeit ein gravierendes Verfassungsproblem und wird auch von der OECD regelmäßig angemahnt:

Da in Deutschland Kinder aus ärmeren und Migrantenfamilien im internationalen Vergleich noch immer schlechte Bildungschancen hätten, sollten Kinder hierzulande nicht schon mit zehn Jahren auf die einzelnen Schulformen aufgeteilt werden, heißt es in dem „Wirtschaftsbericht an Deutschland“. Der Bericht wurde gestern von der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) vorgestellt, in der die dreißig wichtigsten Industrienationen zusammengefasst sind.


Quelle: tagesspiegel.de

Das überholte dreigliedrige Schulsystem ist einer Kastengesellschaft würdig, aber nicht einer Verfassungsdemokratie, vor deren Gesetzen nominell alle Menschen gleich sind.
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Ich trete überall, wo das notwendig ist, der Meinung entgegen, der Umstand, dass die Diktatur zu allem fähig war, berechtige dazu, die Demokratie zu allem unfähig zu machen.
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Re: Direkte Demokratie

Beitragvon DJ_rainbow » Mi 21. Jul 2010, 13:58

Alex, bei allem Respekt:

Chancengleichheit hat nichts mit 4 oder 6 Jahren Grundschule zu tun! Jedenfalls dann nicht, wenn alle Schultypen zu allen anderen durchlässig sind. Das sind sie derzeit nur nach unten, nach oben kaum.

Aufgrund meiner 8jährigen Erfahrung mit der SED-Einheitsschule lehne ich ein derart strukturiertes System fundamental ab - es wird den Schülern (insbesondere den guten, wozu ich gezählt hatte) in all ihrer Vielfalt noch weitaus weniger gerecht als ein leistungsmäßig gegliedertes Schulsystem.

Damit tauchen freilich neue Probleme auf - man benötigt einen Standard, der wirklich soweit wie möglich objektiv Leistung messen kann. Die derzeitige Lehrerwillkür ist hier abzulehnen. Man benötigt aber freilich auch - wenn man schon die Schulen entscheiden lassen will - eine vernünftige Begründung und eine verfassungskonforme Regelung, die die Eltern dann draußen halten kann.

Ich plädiere daher für ein bundeseinheitliches, aber gegliedertes und durchlässiges Schulsystem mit verbindlichen Standards und Leistungstransparenz nach außen. Allein Leistung entscheidet dann über den Schultyp, innerhalb dieses Typs muss es aber ein umfassendes Wahlrecht der Eltern geben.
In der Demokratie mästen sich Sozialisten in Parlamenten. Im Sozialismus hungern Demokraten in Zuchthäusern und Arbeitslagern.

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Re: Direkte Demokratie

Beitragvon AlexRE » Do 22. Jul 2010, 22:36

Hier ein sehr detaillierter und trotzdem kompakter Artikel zu Fragen rund um die direkte Demokratie:

lto.de
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Re: Direkte Demokratie

Beitragvon AlexRE » Mi 6. Jul 2011, 11:51

Die Internetseite von Mehr Demokratie e. V. ist umgebaut worden. Ich halte hier mal den neuen Link zu einer der wichtigsten Stellen fest:

7. Juni 2002

Erstmals erhält die Volksabstimmung im Bundestag mit den Stimmen von SPD, Grünen, PDS und Teilen der FDP eine deutliche Mehrheit. Trotzdem scheitert der Vorstoß am Nein der CDU/CSU-Fraktion, die nötige Zweidrittel-Mehrheit wird nicht erreicht.


http://www.mehr-demokratie.de/504.html
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Re: Direkte Demokratie

Beitragvon Livia » Fr 12. Aug 2011, 16:18

Direkte Demokratie wird bei uns ganz anders verstanden. Viele Immigranten aus Deutschland die schon Jahre hier leben und auch abstimmen dürfen, (Eingebürgert) sagen oft dass die Deutschen nicht wissen was direkte Demokratie ist. Ganz speziell unser Oswald Grübel, Vorsteher der Bank UBS.

http://demokratie.geschichte-schweiz.ch ... hweiz.html
Viele Leute würden bereitwillig zugeben, dass sie sich langweilen; aber kaum einer würde zugeben, dass er langweilig ist.

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Re: Direkte Demokratie

Beitragvon AlexRE » Fr 12. Aug 2011, 16:33

Livia hat geschrieben:Direkte Demokratie wird bei uns ganz anders verstanden. Viele Immigranten aus Deutschland die schon Jahre hier leben und auch abstimmen dürfen, (Eingebürgert) sagen oft dass die Deutschen nicht wissen was direkte Demokratie ist. Ganz speziell unser Oswald Grübel, Vorsteher der Bank UBS.

http://demokratie.geschichte-schweiz.ch ... hweiz.html



Die Deutschen wissen vieles nicht. Das liegt vermutlich daran, dass sich typische Deutsche oft einbilden, alle Weisheit auf Erden mit Löffeln gefressen zu haben.

Dummheit und Stolz wachsen auf einem Holz.
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Re: Direkte Demokratie

Beitragvon Sonnenschein+8+ » Fr 12. Aug 2011, 23:09

AlexRE hat geschrieben:
Livia hat geschrieben:Direkte Demokratie wird bei uns ganz anders verstanden. Viele Immigranten aus Deutschland die schon Jahre hier leben und auch abstimmen dürfen, (Eingebürgert) sagen oft dass die Deutschen nicht wissen was direkte Demokratie ist. Ganz speziell unser Oswald Grübel, Vorsteher der Bank UBS.

http://demokratie.geschichte-schweiz.ch ... hweiz.html



Die Deutschen wissen vieles nicht. Das liegt vermutlich daran, dass sich typische Deutsche oft einbilden, alle Weisheit auf Erden mit Löffeln gefressen zu haben.

Dummheit und Stolz wachsen auf einem Holz.

Naja jetzt über dreib mal nicht so..die Schweizer sind auch nicht die klügsten..
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Re: Direkte Demokratie

Beitragvon maxikatze » Sa 13. Aug 2011, 09:04

Dummheit und Stolz
wachsen auf einem Holz.


Das reimt sich zwar schön, trifft aber nicht zu. Dass die einzelnen Völker ein gewisses Nationalgefühl besitzen, halte ich nicht für dumm, sondern als ein Zeichen ihrer Kultur und ihrer Identität. Die muss mit diesem Spruch nicht im Keim erstickt werden, um das Selbstwertgefühl eines Volkes zu untergraben. Auch nicht für die Deutschen. Es gibt auch vieles, worauf wir stolz sein können.
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Re: Direkte Demokratie

Beitragvon Uel » So 18. Sep 2011, 14:12


Hallo Livia,
... danke für den Link, der uns die Schweizer Demokratie erklären hilft,
... unabhängig vom Für und Wider unterschiedlicher Demokratiearten, -etwas müssen wir unbedingt von der Schweiz lernen und in unseren Wortschatz aufnehmen:

"gebodigt" [schweizerdeutsch für: auf den Boden der Realität herunter geholt bzw. abgelehnt]


... das ist ein richtig süßes Wort ;), ich bin begeistert! Es macht uns klar, warum auch wir unbedingt Volksabstimmungen brauchen: Das bodigen von Politikern, die inzwischen täglich statt mit Millionen nur noch mit Milliarden hantieren, wird von Tag zu Tag dringend notwendiger!
Liebe Grüße
von Uel

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